Gewäsch und Gewimmel - Roman
sehr verbindlich gestaunt.
»Sehen Sie, liebe Frau Wäns, hier nicht deutlich das Gepreßte unseres Daseins? Gepreßt zwischen zwei Finsternisse? So trennen sich sprechend anhand der Namen Vergangenheit und Zukunft«, sagte Holterhoff, der von morgens bis abends einen Feldstecher um den Hals trägt und ohne beruflichen Zwang tagaus tagein grün gekleidet ist. Es klang betrübt, wenn nicht sogar anklagend. Er steckte mir zum Überprüfen ein Faltblatt zu. Ich tat das gern, aber nur aus Gefälligkeit, es lag ihm so sehr an dem Kram. Allerdings entdeckte ich etwas Überraschendes. Der dort erwähnte Hugo war trotz seines Namens kein Großvater, sondern ein Einjähriger und erst kürzlich gestorben. Dadurch gab es eine Verwirrung im zeitlichen Absondern. Holterhoff nach, glaube ich, durfte dieses Lebewesen entweder noch nicht sterben oder eben nicht »Hugo« heißen. Ob er das denn gar nicht bemerkt hat?
Dann, am Abend desselben Tages, lernte ich jemanden kennen mit dem Namen Hans Scheffer.
Hans, was für ein alter, treuer Klang! Ich zehrte von dem Gefühl die ganze restliche Nacht, im Dunkeln, im Wachliegen. Auch wenn es nur eine Art Verwechslung sein konnte, daß Herr Hans meine Schulterblätter so … herzlich berührt, meine Schultern so wohlig umarmt hat. Es kitzelte in den Zehen, auch in den Zähnen wie schon lange nicht mehr. Alles unverdient, denn er war ein betörender, sehr betörender Mann. Das ist er immer noch, egal, was man jetzt sagt und nicht erkennt. Tat er den Mund auf, schwiegen alle, trotz seiner leisen Stimme, sofort still.
Jeder hier liebte ihn.
Ich selbst bin keine Schönheit und war es schon vor einem Jahr nicht, als Herr Hans noch nicht wankte. Damals ging es mir plötzlich, bei seiner Berührung, gut bis in alle Glieder hinein. Ich freute mich an Hans Scheffer, dabei hatte ich ihn doch vor ein paar Stunden überhaupt erstmals gesehen und erlebt. Trotzdem, das Durchrieseltwerden: auf Anhieb unvergeßlich.
Heute Morgen aber sind mir, hopp hopp hopp, direkt nach dem Aufwachen drei Szenen aus den vergangenen zwölf Monaten jeweils mit einem Satz vor die Augen gesprungen. Sofort bin ich sicher gewesen, daß sie bedeutsam zusammengehören. Ob ich je dahinterkommen werde, wieso? Es gelingt mir leider nicht, mich an die Reihenfolge zu erinnern. Vielleicht wäre das aber das Wichtigste, wenn man sich daranmacht, den versteckten Sinn zu ermitteln. Abergläubisch bin ich eigentlich nicht, bin ich trotzdem doch nur kaum.
Was fiel mir zuerst ein? Das Mädchen? Der Metzger? Die Jäger?
Das Mädchen Anada Aki, was bei den Indianern, sagte Herr Hans immer ein bißchen stolz, soviel heißt wie »Schöne Frau«, hatte ganz versunken, ohne ein Wörtchen, bei uns am Tisch gesessen und auf ihren Schoß niedergelächelt. Es passierte, bevor sie unseren Herrn Hans so unglücklich machte.
Als er noch glücklich war, an dem bewußten Abend vor einem Jahr, da ging es lustig zu. Viel guter Wein wurde getrunken. Zum Beispiel haben die Leute, nachdem ich von Herrn Holterhoff erzählt hatte, ihre eigenen Namen mit viel Getöse spaßeshalber nach Neugeborenen und Verstorbenen aufgeteilt, sogar nach Ausgestorbenen: die kugelrunde Magdalena, die reizende Iris, der die Kleider, muß ich zugeben, von meiner berühmten Großmutter Anna Hornberg gut gestanden hätten, Bruno der Dürre, Detlef mit den Medizinerhänden, die nervöse Jeanette, natürlich Sabine, die gute Sabine, Wilhelm Hehe, noch ohne Ahnung, was so bald über ihn hereinbrechen sollte, der blutjunge Boris und wie sie alle heißen und hießen. Ach, was waren sie fröhlich, die reinsten Kinder, sobald sie die Mäntel ausgezogen hatten. Dabei besuchten uns diese zutraulichen Menschen doch zum ersten Mal! Allerdings gehörte meine Sabine schon vorher zu ihnen. Ich sah das Mädchen bis dahin immer bloß in versteckter Aufregung weggehen, das arme Kind, unregelmäßig, wer kennt sie denn besser als ich? Beim Wiederkommen spät in der Nachtwar es nicht anders. Sie hat nichts erzählt von den Zusammenkünften, und ich habe nicht gefragt.
Bis dahin trafen sich die Leute um Hans nämlich mal hier, mal da, aber nie im Tristanweg.
Von jenem Abend an versammelten sie sich nur noch bei uns, weil Herr Hans es strikt so wollte. Was er wünschte, was er befahl, das wurde ohne Widerrede befolgt. Die Lage unseres Hauses, das vierte auf dieser Straßenseite und auch schon das letzte, Nr. 8, zwischen der Schnellstraße und dem Naturschutzgebiet, die gefiel ihm eben, da fühlte
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