Gewäsch und Gewimmel - Roman
der Heimkehr für eine Täuschung durch Spätfolgen des Rausches halten.«
Nach einigen Tagen erfuhren wir, daß es sich tatsächlich ungefähr so verhielt.
Ilona erzählte von Mal zu Mal leidenschaftlicher. Zum Schluß hatten wir den Eindruck, sie wäre Zeugin der Explosion gewesen,mit Staubfahnen und Qualmwolken, fliegenden Steinen und stürzenden Möbeln. Was mich verblüffte: Das, was bei ihr so hübsch wirkt, das leicht Verweinte, was aber nur an ihrem östlichen Typ liegt, nicht an einem Kummer, das tauchte erst da in ihrem Gesicht wieder auf, als sich die Kleine, das »Mamsellchen«, durch das viele Ausmalen des Ereignisses erholt hatte und uns anlachte. Sie war durch das Anfeuern von Hans neu erblüht. Hehe aber rief: »Ich war’s, der den Brand gelegt hat, damit sie endlich eine Weile regelmäßig bei mir übernachten muß!«
Das Kummergesicht meiner armen Sabine ist dagegen nichts Zufälliges. Ihr jetziges Aussehen ist schon ein gewaltiger, ganz gewaltiger Fortschritt, verglichen mit der Zeit nach Mirkos Tod, als sie eine Weile Arme und Schultern nicht mehr bewegen konnte, so halb versteinert war sie. Da fällt mir wieder ein, wie ich sie einen Tag nach dem zweiten Abend vor dem Schlafzimmerspiegel versehentlich hörte: »Wieso sind Ihre Augen nur so schön, Frau Wäns?« Ich wurde dann ja auch noch, ohne mich rechtzeitig abwenden zu können – ein Kartoffelverkäufer stand an der Tür, ich wollte wissen, ob ich einen Sack kaufen sollte –, Zeugin der Fortsetzung: Sabine hob ganz langsam ihren Handrücken und hat ihn dann lange, lange geküßt, immer wieder.
Ich durfte nicht atmen, ich mußte warten, bis sie ein Geräusch machte, damit ich mich fortschleichen konnte, ohne sie in Verlegenheit zu bringen. Nein, das wäre für sie zu furchtbar gewesen, wenn sie mich bemerkt hätte. Ich ließ den Händler seine Kartoffeln in den Keller schleppen.
Das Ehepaar Herzer hatte sich für diesen Abend entschuldigt. Ich weiß nicht, ob darüber ein Wort verloren wurde. Und dann traf das heikle Paar eben doch noch ein, gerade als Magdalena Zock ihre Suppe servierte. Die beiden versuchten auszusehen, als wäre beim letzten Treffen nichts Dramatisches vorgefallen. Das war wegen der allgemeinen Unbeschwertheit auch das Beste. Besonders Herr Hans fühlte sich erleichtert, er machte den ganzenAbend über Jeanette und Herzer Komplimente. Es ist ja der Vorteil meines Fernseheckchens, daß ich nicht beteiligt bin und daher alles beobachten kann, wenn auch nicht überblicken, erst recht nicht durchschauen. Zwischendurch sah ich dort, wie ein Mann vor zahlreichem Publikum, ein Verteidigungsminister vielleicht, in einem Sack hüpfte für einen guten Zweck, bis er umfiel. Auf diese Weise wurden Aids-Kranke gerettet.
Aus der Küche hörte ich dazu gleichzeitig die Galeristin, die Magdalena Zock ein bißchen zur Hand ging, vermutlich war es nur ein Vorwand, etwas loszuwerden: Jeanette gebe sich ja größte Mühe zu lächeln, aber man habe immer das Gefühl, sie zöge bloß die Augen zusammen, als hätte sie zu saure Drops im Mund. Sie, Iris, glaube außerdem, Jeanette sei älter als ihr Mann, wolle es aber um jeden Preis verheimlichen. In diesem Gartenhäuschen des Botanischen Gartens, in diesem, nun ja, berüchtigten Pavillon, habe Jeanette vermutlich nur wegen der Hitze ihre Perücke, wenigstens ein Haarteil, gelüftet, zunächst ohne zu ahnen, daß Hans, aus beruflichen Gründen dort unterwegs, die Bloßstellung bei einem flüchtigen Blick durch eins der acht niedlichen Fensterchen mitgekriegt habe. Doch dann sei es, vielleicht gerade durch sein schockiertes Zurückfahren, unseligerweise doch von ihr entdeckt worden. Von erotischen Geheimnissen zwischen den beiden könne also gar keine Rede sein! Einfach undenkbar und ganz im Gegenteil.
Magdalena Zock hat daraufhin bloß gesagt: »Verdammt, der Braten!«
Ich würde jetzt so gerne Leberblümchen im braunen Laub entdecken. Hans sagt: »Leberblümchen? Niemals! Ist nicht der Boden dafür. Die wollen Kalk.« Was klopft da? Der Specht? Oder sind es, von den Lichtungen außerhalb des Schutzgebietes her, Geräusche der Reparaturarbeiten an den Schießständen? Oben in den Kiefern braust es fürchterlich, herrlich. Da überschlägt sich schon der Frühling. Natürlich muß man, wenn man schlauist, oft den Blick senken auf das, was sich direkt vor den Füßen befindet, so wie Anada es tat. Bei ihr weiß ich nicht den Beweggrund, hier tut man es, um nicht durch die Baukräne des
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