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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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geworden. Sie kennt sich aus mit der Liturgie. Irgend etwas daran tröstet die Gute, und ich lache mein armes Mädchen nicht mal unter der Bettdecke aus. Ich habe es besser, ich habe statt dessen die täglichen Gänge. Da, Wildkrokusse! Und sind das schon erste Austriebe vom Lerchensporn?
    »Die Kirche«, sagt sie, »wie sie alles durch das Jahr hindurch wiederholt, die Feste, Weihnachten, Ostern, jedesmal, als wären Pfarrer, Pastor und Kaplan aufs Neue überrascht und begeistert! Dabei ist es doch immer dasselbe.« Andererseits erfahre sie, die Kirche, jeden Tag die grausamen Witterungen der Zeit, Sturm, Hagel, Dürre, und müsse ihre ganze Kraft darauf richten, nicht davon zermürbt und weggeweht zu werden. Auch seien da die halbwegs Gläubigen, die alle Jahreszeiten hindurch denselben Altar, dasselbe Kreuz oder Marienbild anstarrten und ihre wechselnden Sorgen mit Hypotheken, räuberischen Nachbarn, Geschäftskonkurrenz und dem kleinen Hautkrebs auf der Stirn da hineinmünden ließen.
    Sabine ist ja Bankangestellte.
    Es kam an dem Abend dann das Spiel an die Reihe, wo sie uns alle mit dem Wort: »Tiger!« ganz baff machte. Hatte sie wirklich »Tiger« gesagt? »Tiger?« wiederholte Hans als der zuständige Fachmann, »Amurtiger etwa, die größte Raubkatze von allen, schwarz-weiß gestreift, der herrliche Kopf mit goldenem Nasenrücken, bald ausgestorben bis auf den halbwegs soliden Bestand im Osten Rußlands, zur Zeit aber immer noch stark genug, um ausgewachsene Kragenbären zu töten?«
    »Eigentlich ein Tiger, Tiger überhaupt«, sagte meine Kleine unbeirrt, und sie hatte mit ihrer Antwort auch viel weniger lange gezögert als die anderen. Ich bemerkte sehr wohl, daß sogar ihr knapp angedeutetes Nachdenken nur vorgetäuscht war. Sie imitierte, um keine Spielverderberin zu sein, wenigstens ein bißchen die Koketterie ihrer Vorgänger bei deren Geständnissen, in welches Tier sie in einem zweiten Leben verwandelt werden wollten. In Wirklichkeit hatte sie keine Sekunde überlegen müssen.
    Sie liegt ihr ja nicht im geringsten, die Koketterie.
    »Aha«, sagte Herr Hans und sah sie gespannt an. Es war ein Augenblick, in dem ich ihn in seiner dickköpfigen Männlichkeit so schön fand, daß es mich fast wegfegte. Und wieder spürte ich das Zittern in mir. »Sie, Frau Wäns, beabsichtigen, in einem Tigerfell, um ein echtes Tigergemüt herum, irgendwann auf Erden zu wandeln. Amurtiger! Donnerwetter, Frau Sabine! Springt extrem weit, springt sogar noch mit einer Kugel im Herzen.« Er lehnte sich dabei extra zurück, um sie zu betrachten. Es durchfuhr mich. Denn seit dem ersten Abend bei uns hatte er sie noch nie so studiert, mit einem solchen Blick. Da kuckten auch die anderen. Natürlich aber nicht so wie Hans. Ich weiß nicht, ob die Eigentümlichkeit seines Blicks jemandem außer mir aufgefallen ist, vielleicht nicht mal meiner unansehnlichen Tochter selbst. Die Tatsache, daß die trostlose Kleine überhaupt etwas längervon Herrn Hans, von dem doch alle gerne beachtet werden wollen, direkt angeschaut wurde, genügte schon, um die anderen zu verblüffen.
    Man achtet ja sonst nicht besonders auf das, was Sabine von sich gibt, höchstens in der Garderobe, wenn sich die Männer bei ihr nach einem Tip für eine Geldanlage erkundigen. Sie ist das gewohnt. Es geschieht nicht aus Unfreundlichkeit. Ein unauffälliger, trauriger Mensch, unauffällig schon immer, traurig erst geworden. Und jetzt: »Tiger«?
    Daß sie nun aber von allen derart beäugt wurde, und so ungläubig dazu, machte sie zu meinem Erstaunen und Stolz nicht im mindesten unsicher. Auch Hans schaffte das nicht, obschon sie doch vor dem Spiegel ihre eigene Hand geküßt hatte zu dem geflüsterten Satz. Statt dessen wiederholte sie ohne jedes Zwinkern, wie zu sich selbst, in sich versunken, so ruhig, in solcher Zuversicht, wie Leute sonst ein Ferienziel oder ihren Geburtsort angeben: Ja, wenn sie wählen dürfe, dann wolle sie ein Tiger sein. Dabei lichtete und glättete sich ihr Gesicht, das man sich sonst gut als eins erklären könnte, das von einem Prankenschlag verunstaltet wurde, auf erstaunliche Weise durch das funkelnde, wie sprungbereite Wort. Denn so sah sie uns einen Moment lang an, funkelnd und sprungbereit.
    Ich hätte beinahe aus meinem Winkel heraus, wo gerade ein Minister im Nachthemd eine Rede vor Menschen mit Pappnasen hielt und dafür einen Orden bekam: »Hurra!« gerufen.
    Iris Steinert schielte in ihrem leichten Irrsinn in alle

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