Gewäsch und Gewimmel - Roman
Industriegebiets am Horizont ständig aufgeschreckt zu werden.
Den Schrecken, wenn man das, was man für sein Eigentum hält, verliert, hat auch Mirko erfahren und bald darauf Sabine. Im weiteren Verlauf dieses Abends erlebten wir es dann leider alle. Wir hätten es uns nicht träumen lassen, als wir Magdalenas Braten aßen.
Ich setzte mich solange mit an den Tisch. Hans, der ja große Stücke auf ihre Kochkünste hielt und auch darauf bestand, daß zwar bei uns getagt wurde, aber nur, weil Magdalena für hervorragendes Essen sorgte, fühlte sich verantwortlich für das Gelingen des Abends. Wohl deshalb fragte er, noch während ein großes Fleischstück, das Hehe an seine treue Kundin Zock geliefert hatte, auf seinem Teller lag, ob denn auch mit Nachtisch gerechnet werden dürfe.
Er sagte es sehr schmeichlerisch. Magdalena glühte auch sofort vor Freude. Sie breche beim Dessert ein Tabu, meinte sie, Rote Grütze um diese Jahreszeit! Nichts für Orthodoxe, die auf frischen Früchten beständen. Hans bekam sein unwiderstehliches Kindergesicht. Es war ja seine Lieblingsspeise. Nein, nein, sagte er, wir seien durchaus keine Puristen. Da werde er bestimmt nichts übriglassen und noch die Schüssel mit langer Zunge auslecken, könne auch auf die Damen und ihre guten Tischsitten in diesem Fall keine Rücksicht nehmen.
Aber nun fing die entzückte Magdalena in ihrem Triumph an, das Rezept schon vorab bekanntzugeben. Man benötige gefrorene Waldfrüchte, dazu noch zwei Drittel Himbeeren extra. Die müsse man in Zucker wälzen und zugedeckt über Nacht an einem nicht zu warmen Ort auftauen lassen und solle für alle Fälle Himbeersirup und ein Glas Rotwein bereitstellen, um am nächsten Tag den aufgefangenen Saft eventuell verlängern zukönnen. Während man auf einer Schaumkelle die Früchte sehr, sehr vorsichtig in die möglichst gläserne Servierschüssel gleiten lasse …
Hans unterbrach sie, obschon ihn ihre im Eifer geröteten Wangen hätten beschwichtigen sollen, auf einmal heftig, richtig böse: »Herrgott noch mal, Magdalena Zock! Was sollen uns die erbsenzählerischen Angaben. Schmecken soll’s. Mehr wollen wir nicht.«
Die Frauen waren geschult. Sie kannten unseren Herrn Hans, für den sie damals alle durchs Feuer gegangen wären, sobald er auf seine spezielle Art in ihre Richtung und gleichzeitig an ihnen vorbeikuckte. Sie begannen sofort, um die Pause zu überbrücken, durcheinander zu schnattern. Ich glaube, sie schnatterten absichtlich auf diese Art, sie spielten Hühnerhof, gackerten irgendein Zeug, und der prachtvolle Gockel bereute seine Grobheit, beruhigte sich und sagte zu Magdalena ein versöhnliches Sätzchen, das es ihr schwermachte, beleidigt zu sein. Ihr Mann kannte die unvermittelten Ausbrüche seines Freundes Hans und nahm sie nicht ernst. Er mischte sich gar nicht erst ein, dieser aristokratische Herr vom Baumarkt, freute sich vielmehr durchweg an der glänzenden Rolle, die seine Frau in unserer Runde kraft ihrer Fülligkeit, ihrer Kochkünste und Mutterschaft spielen durfte.
Obschon mir gerade wieder einfällt, wie Herr Zock doch, zu unserem Erstaunen, am zweiten Abend, als Magdalena in der Küche wirtschaftete, von der ganz anderen, dämonischen Liebe gesprochen hatte. Ob das nur so Träume von ihm waren? Oder wußte er irgendwas Zuverlässiges darüber, dieser dürre Herr Bruno, der so ein tüchtiger Unternehmer und auch Vater ist?
Man mußte sie damals einfach alle gern haben, selbst die füchsische Iris Steinert mit ihrem vorwitzigen Boris und Jeanette Herzer auf ihre verkrampfte Art, wie sie gebannt und gezähmt um Herrn Hans kreisten. Einmal hörte ich, wie er, halb zu sichund halb zu Herzer, sagte: »Da haben wir’s. Die Leute sind nichts weiter als aus dem Zusammenhang gerissene, daher unverständliche Zitate!« Der ewig erschöpfte Frauenarzt aber antwortete zu meiner Überraschung: »Mag sein, Scheffer, mag sein. Immerhin sind dann jedenfalls Sie trotz der Unverständlichkeit eine oft und gefühlvoll zitierte Passage!«
Aber ich muß nun, obschon ich so froh bin, wieder hier herumstapfen zu können im Reich von Hans, und auf diese Art in seinen mächtigen Arm genommen, obwohl ich nicht fertig geworden bin mit dem Abend und seinem verwirrenden Endeffekt, schleunigst nach Haus, darf nicht wieder umkippen wie im Dezember. Sonst läßt mich Sabine nicht mehr allein losgehen, und dann, dann wäre doch alles aus.
4. Wanderung
Sabine ist damals in ihrem Schmerz merkwürdig fromm
Weitere Kostenlose Bücher