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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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bestimmt zehnmal vor sich hin geflüstert und gelächelt wie nach dem Tod unseres Mirko nie mehr. Mein liebes, ungetröstetes Mädchen! Es spricht so sehr für den Herrn Hans, daß er ihre Augenschönheit erkannte.
    Und doch wohl auch momentan ein wenig erkennt.
    Wir besaßen nun beide einen Satz von ihm, den wir uns aufsagen konnten, sooft wir wollten: »Wieso sind Ihre Augen nur so schön, Frau Wäns?« und: »Niemand hat wie Sie die Musik angehört, Frau Wäns, ich habe es an Ihrem Gesicht gesehen.« Einer für Sabine, einer für mich. Jede hat ihn heimlich für sich.
    Wie viele Stunden an einem Stück solche Flocken wohl fallen können? Hätte doch meine Mutter, die im Alter so sehr an den Waden fror, noch die modernen Thermostrumpfhosen kennengelernt. Sabines toter Mirko wäre, wenn sie beide, meine Mutter und der arme Junge, noch lebten, ihr Urenkel, tatsächlich, wäre schon ihr Urenkel!
    Alles will strahlend einschlafen. Schnell vorher nach Hause, um Gottes willen. Zum Kuckuck, ich finde kaum noch den Weg im Gewirbel. Wäre doch Herr Hans auf Kontrollgang und könnte mir helfen. Ist dort Elsa, unsichtbar geworden, so weiß im Weißen? Oder wenigstens Holterhoff. Wenn ich mich jetzt hinsetze und dann wieder aufstehen will, bleiben bestimmt Teile von mir liegen. Kommt da Nizami-Pascha? Sind Sie es, Herr Scheffer, Herr Hans im dichten Schneefall, der mich rettet? Sie?
3. Wanderung
    »Endlich, Frau Wäns! Von den Toten auferstanden!« Daß sich der wald- und wiesengrüne Nachbar Holterhoff mit seinem schweren Feldstecher dermaßen daran begeistert, mich wiederzusehen! Durch meine Krankheit habe ich den Winter hier draußenüberschlagen. Sabine wollte mich in meinem elenden Zustand nicht aus dem Haus lassen, und Holterhoff ahnt nicht, was sich im Tristanweg 8 in der Zwischenzeit geändert hat. Zum Guten? Zum Schlechten?
    Ich weiß nicht.
    Holterhoff sagt: »Man hat in den acht Wochen, in denen Sie hier nicht aufgepaßt haben, in unserem Viertel die wilden Wäldchen beseitigt, alles Gehölz, das in den Lücken zwischen den Häusern stand. Wo eben noch Bäume waren, im vorigen Frühjahr mit vielen Vogelnestern, sieht man jetzt nichts als Bagger und Betonmischmaschinen. Unser Oberbürgermeister … Schwamm drüber. Sie bauen, sie pflastern, sie kacheln und versiegeln. Werden die uns wenigstens das hier lassen?«
    Holterhoff lacht und schlägt sich auf die Schenkel. Er wollte mich lediglich ins Bockshorn jagen, der gutmütige Klotz. »Die Hauptsache, Sie sind wieder auf dem Damm.« Ein roher Kauz! Sagte Hans nicht kürzlich, als Holterhoffs Name im Tristanweg fiel: »Es wird zu viel und zu gerne schwarzgesehen. Ob der liebe Gott das gewollt hat?«
    Holterhoff bedenkt nicht, daß er durch solche Reden mein Bild von der Welt einschlägt und zerhackt. Jedenfalls besteht die Gefahr. Wo soll sich, wenn ich für mich »Die lauen Lüfte sind erwacht« singe, das kleine Lied noch niederlassen? Auf Pflastersteinen?
    Was gestern war, muß der erste Vorfrühlingsabend gewesen sein. Es lag an den Vogelstimmen, an ihrem Klingeln und Geklirre in der Dämmerung. Wo hält man sich fest in einer so wehrlosen Stunde, nein, wehrlos in einer solchen Stunde? Nicht im Tag und nicht in der Nacht kann man Anker werfen. Man treibt unter dem Gezwitscher dahin. Das alles ist aus der Vergangenheit vollständig aufgetaucht. Dann die große Mondmilde darüber, ein Halbmond fast in seinem Scheinen. Ich behaupte: Es ist eine andere Welt, die in unserem alten Mondlicht schwebt.Unberührbar kreist sie in derjenigen, die sie mit den Teleskopen erforschen.
    Sabine hat mir zur Genesung etwas geschenkt. Wir waren im Planetarium. Gezeigt wurde die »junge Erde«. Aus dem Weltall sah man auf uns herab. Wie dampfende Zapfen und wehende Bärte standen die Nordlichter von der Erdkugel ab. Es hat aber keiner gelacht außer mir. Dem Herrn Hans, wenn er es gesehen hätte, dem wäre genauso lustig zumute geworden wie mir. Dann das kraftstrotzende Universum! Der gehämmerte, donnernde Sternenhimmel! Aus den Liegestühlen war das alles bequem zu betrachten. Man mußte keinen Finger rühren, schon sausten die Planeten und Meteore herbei und davon.
    Und ich wußte, draußen im Park wachen die Schneeglöckchen. Nur wenn sich die Sterne vernebelten und verkleinert verlorengingen in einer Gräue, dann fehlte mir plötzlich Gott, als würde er mit ihnen davontreiben, dahin, wo nichts mehr ist und nie sein kann. Auch unser Herr Hans liebt die Sternbilder wie ich, obwohl

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