Gewagt - Gewonnen
dich hinauslassen! Aber du weißt doch, ich trage die Verantwortung für dich. Ich lasse dich nicht aus den Augen, ehe nicht Papa kommt und dich holt!“ Timian heulte laut.
Es wurde immer schlimmer, je weiter der Abend vorrückte. Astrid wußte nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollte, und ihre Gedanken über Timians „Papa“ waren nicht besonders freundlich. Auch Rücksichtslosigkeit mußte doch ihre Grenzen haben!
„Du wirst sehen, er dachte, du meintest ein Uhr nachts“, spottete Hein. „Du hättest natürlich dreizehn Uhr sagen sollen.“
Aber um ein Uhr nachts lag Astrid in ihrem Bett, und auf ihren Beinen lag etwas Graugelbes, Warmes, Saubergetrimmtes.
Timian war am Abend so verzweifelt gewesen, daß Astrid ihn, um ihn zu beruhigen, auf den Schoß nehmen und immer wieder sagen mußte: „Du weißt doch, Timian, du sollst auf mich aufpassen!“
Schließlich war Timian so einigermaßen zur Ruhe gekommen, und Astrid hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn die Nacht über in der Küche oder im Keller liegen zu lassen. Und kaum war sie im Schlafzimmer, so zeigte Timian, daß er wußte, wozu ein Bett da war. Sein ganzes Verhalten bewies, daß er es gewohnt war, seine Nächte am Fußende eines Bettes zu verbringen.
„Du bist wirklich ein drolliger kleiner Mann, so zottig du auch ausgesehen hast“, sagte Astrid. „Wenn Papa dich ganz im Stich läßt, dann behalte ich dich. Du bist süß, Timian.“ Und Timian streckte sich behaglich auf dem Bett aus. Er reckte seinen schlanken, frisch getrimmten Hals so weit vor, daß Astrid ihm den Kopf streicheln konnte. Ihre Hand ruhte noch immer auf Timians Kopf, als sie beide schon längst schliefen.
Machen Sie sich um Timian keine Sorgen
„Nein“, sagte Astrid. „Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich Timian vorläufig behalte und abwarte, ob das Geheimnis sich nicht doch noch lüftet. Zu dumm, daß ich den Namen seines Besitzers nicht verstanden habe. Das Merkwürdige ist, daß er an Timian sehr zu hängen schien. Ich halte es daher für ausgeschlossen, daß er ihn einfach im Stich lassen würde. Wenn ihm nur nichts zugestoßen ist!“
„Vielleicht hat er seine Hausgehilfin oder einen Jungen gebeten, den Hund abzuholen, und ist selber fortgefahren“, meinte Hein.
Sie saßen beim späten Sonntagsfrühstück mit Timian neben Astrids Stuhl. Es war leicht zu merken, daß er es gewohnt war, bei Tisch gefüttert zu werden, und da es nicht Astrids Sache war, ihm Unarten abzugewöhnen, steckte sie ihm mit ruhigem Gewissen ein Stück Butterbrot ins Maul.
Nach dem Frühstück machte sie mit Timian an der Leine einen Spaziergang. Aber hinterher schwor sie sich, es nie wieder zu tun, denn einen solchen Mangel an „Leinendisziplin“ hatte sie noch nie gesehen. Er zog und zerrte, rannte um Astrid herum und umschnürte ihre Beine mit der Leine, er bellte alles und alle an und führte sich im ganzen unglaublich unerzogen auf. Aber der kleine Unhold hatte einen unvergleichlichen Charme. Wenn er seine klugen nußbraunen Augen auf sie richtete, verflog ihr Ärger sofort. Und am Abend schlief Timian wieder auf ihrer Bettdecke.
Früh am nächsten Morgen läutete das Telefon.
„Verzeihen Sie“, sagte eine etwas unsicher klingende weibliche Stimme. „Werden bei Ihnen Hunde geschoren?“
„Ja. Bitte sehr!“ sagte Astrid.
„Haben Sie vielleicht zufällig einen Hund bei sich, der Timian heißt?“
„In der Tat“, sagte Astrid gereizt, denn sie war wirklich böse. Es war aber auch eine Art, zwei volle Tage einen Hund bei ihr abzuladen und dann bloß anzurufen und so ganz beiläufig zu fragen!
„Hier ist Abteilungsschwester Jenny vom Städtischen Krankenhaus. Die Sache ist nämlich die, daß am Samstag ein Patient eingeliefert wurde, der einen Unfall gehabt hatte. Er ist meistens ohne Bewußtsein und phantasiert viel von einem Hunde, der Timian heißt. Gestern abend war er etwas klarer, und da sagte er: ,Timian ist zum Trimmen!’ Und da habe ich mir gedacht, es müsse in der Stadt wohl eine Hundetrimmanstalt geben…“
„Timian geht es ausgezeichnet“, unterbrach Astrid. „Grüßen Sie bitte den Patienten, und sagen Sie ihm, er könne Timians wegen ganz unbesorgt sein.“
„Vielen Dank!“ sagte Schwester Jenny, und ihre Stimme klang deutlich erleichtert. „Sie werden verstehen… unser Patient kann keine Ruhe finden, er richtet sich immer wieder im Bett auf und redet von diesem Hund. Und er muß unbedingt Ruhe haben…“
Astrid
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