Gewagt - Gewonnen
nicht besonders gut erzogen; aber es findet sich nichts Böses in ihm.“
„Das brauchen Sie mir nicht zu sagen“, erwiderte Astrid. „Er ist lieb und vergnügt und etwas ungeschliffen. Ein herrlicher Typ. Außerdem ist er klug.“
„Können Sie ihm das sofort ansehen?“
„O ja“, sagte Astrid. „Diese Augen da sitzen in keinem dummen Kopf.“
Timians Besitzer lächelte. Astrid stellte fest, daß es ein ungewöhnlich schönes Lächeln war, wie man es mitunter bei Menschen sieht, die nur selten lächeln.
„Timian!“ sagte er. „Braver Hund. Bleib bei der Dame! Hast du verstanden? Ich komme bald zurück.“
Timian winselte leise.
„Nicht winseln, Timian! Paß auf die Dame auf! Verstehst du? Paß auf die Dame auf!“
Bei den Worten „Paß auf die Dame auf!“ spitzte Timian die Ohren. Er hielt den Kopf schief und sah seinen Herrn fragend an. „Wenn ich zu Timian sage, er solle auf etwas oder jemand aufpassen“, erklärte dieser Astrid, „dann bleibt er da. Ich hoffe, Sie werden nicht zuviel Plage mit ihm haben!“
Er blickte auf seine Uhr und wandte sich schnell zur Tür. Offenbar hatte er es eilig.
„Entschuldigen Sie! Wie ist Ihr Name?“ fragte Astrid.
Er antwortete, aber in demselben Augenblick hielt Timian es für angezeigt, seinem Herrchen zum Abschied kräftig nachzubellen. Ob Timians Nachname Jensen, Jansen, Svendsen oder Hansen lautete, war unmöglich auszumachen, und im nächsten Augenblick war Herr Jensen-Jansen-Svendsen-Hansen verschwunden.
Astrid nahm den Hund in Augenschein. Er war wirklich ein schnurriger kleiner Bursche. Der eine Teil seiner Eltern mochte ein Schnauzer gewesen sein, was aber der andere gewesen sein mochte, konnte Astrid nun wirklich nicht erraten. Nur eins schien sicher: Es mußte etwas sehr Zottiges gewesen sein, wenn man aus dem Ergebnis seine Schlüsse ziehen konnte. Timians Haarwuchs hätte jeder Haarwasserfirma als Reklame dienen können.
Abgesehen von seiner unglaublichen Neugierde, die bei der Arbeit ziemlich hinderlich war, benahm Timian sich musterhaft, und er war ein allerliebster kleiner Kerl. Was stellte er nicht alles an! Bald mußte er an der Schere schnuppern oder das Trimmesser anblaffen, bald mußte er unbedingt seine Schnauze unter Astrids Arm bohren und sehr lieb tun, um im nächsten Augenblick mit dem Mute eines Löwen die mit Wachstuch bezogene Tischecke anzugreifen.
Es wurde, mit anderen Worten, ein ziemlich anstrengender Vormittag. Aber langweilig war er auf keinen Fall. Timian war so urkomisch, wenn er mit schief gelegtem Kopf aufmerksam auf alles lauschte, was Astrid sagte, und einfach unwiderstehlich, wenn er ihr zum Dank für jedes freundliche Wort unbedingt das Gesicht lecken mußte.
„Und da gibt es Leute, die behaupten, die Hunde kröchen vor den Menschen auf dem Bauch und hätten Angst vor ihnen“, dachte Astrid, als sie sich zum achten Male das Gesicht abwischte.
Als es ein Uhr war, hatte Timian sich aus einem unendlich struppigen Knäuel in einen schlanken, höchst eleganten Hund mit geraden, feinen Pfoten, drolligen buschigen Augenbrauen und dem richtigen viereckigen Schnauzergesicht verwandelt. „Was bist du doch für ein flotter Hund geworden!“ sagte Astrid. „Nun kann Papa kommen und dich holen, wenn er will.“
„Papa“ ließ auf sich warten. Astrid setzte Timian in den Auslauf und stellte ihm einen Napf mit Wasser hin.
Sie begann die graugelben Zotteln zusammenzufegen, um sie in die große Kiste zu tun, in der sie die für den Verkauf an eine Sohlenfabrik bestimmte Hundewolle sammelte. Plötzlich aber blieb sie stehen, blickte nachdenklich auf die Wolle, nahm etwas davon auf und rieb es zwischen den Fingern. Diese Wolle war so langhaarig und weich und fein, daß man meinen sollte, sie könne zu Garn versponnen werden. Wirklich, sie mußte sich eine zweite Kiste für besonders feine Hundewolle zulegen. Vielleicht konnte sie sie gelegentlich spinnen lassen.
Merkwürdig übrigens, daß Herr Hansen-Jensen-Svendsen-Jansen nicht kam! Es war fast zwei Uhr, und Timian winselte laut und mißvergnügt.
Um drei Uhr läutete das Telefon, aber es war nicht Timians „Papa“, sondern eine Bestellung für Montag.
Um vier Uhr kam Frau Liberg nach Hause. Zu dieser Zeit stand Timian in der Küche und verzehrte die Frikadellenreste vom vergangenen Tage.
Um fünf Uhr begann Timian ernstlich unruhig zu werden. Er kratzte an der Tür und blickte Astrid flehend an.
„Mein lieber Timian“, sagte sie. „Wie gern würde ich
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