Gewagt - Gewonnen
Gedanken wenigstens – adoptiert. Da muß ich mir doch wohl die Freiheit nehmen dürfen…“
Er ergriff ihre Hand und befestigte die winzige goldene Uhr an ihrem Handgelenk.
„Wie ist sie doch allerliebst!“ stammelte Astrid. „Es ist nur so… so überwältigend. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen danken soll…“
„Wenn Sie sich nur ein klein wenig freuen, so ist das Dank genug“, erwiderte Harder lächelnd. „Und im übrigen haben Sie mir ja eine Tasse Kaffee versprochen.“
Wenn Frau Liberg verblüfft war, Gutsbesitzer Harder plötzlich in ihrer Stube stehen zu sehen, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Sie empfing ihn genauso einfach und selbstverständlich, wie sie Astrids Freundinnen und Heins Freunde empfing. Sie schickte Hein in die Küche nach Tasse und Teller, während Harder Jörgen Trahne freundlich und völlig unbefangen begrüßte. Timian stand auf und begab sich zwecks näherer Untersuchung zu dem Neuankömmling. Das Ergebnis war offenbar zufriedenstellend, denn er legte anerkennend seinen Kopf einen Augenblick auf Harders Knie, um dann den unterbrochenen Mittagsschlaf wiederaufzunehmen.
„Mutti!“ sagte Astrid. „Sieh bloß einmal, was Herr Harder mir aus dem Ausland mitgebracht hat!“
Sie hielt das Handgelenk mit der Uhr vor die Augen der Mutter, und Jörgen und Hein machten große Augen, als sie die elegante Uhr sahen.
„Ich bin sprachlos“, sagte Frau Liberg. „Das kann Astrid aber unmöglich annehmen, Herr Harder!“
„Hören Sie, gnädige Frau!“ sagte Harder mit seinem gütigen, gewinnenden Lächeln. „Die kleine Astrid hat keinen Vater. - Könnte ich nicht diese Rolle übernehmen? Oder wenigstens die eines netten alten Onkels? Ich habe eine unleugbare Schwäche für Ihre junge Tochter…. daß Sie es nur wissen!“
Astrids Blick streifte Jörgen Trahne, und es entging ihr nicht, daß er sichtlich unangenehm berührt war.
Frau Liberg aber erging es wie allen Frauen: Sie fand Harder ganz bezaubernd.
„Sie dürfen mich nicht falsch verstehen“, sagte sie. „Selbstverständlich finde ich es überaus nett von Ihnen; ich war nur etwas erschrocken über… nun, Sie können sich schon denken, was ich meine. Kosten Sie diesen Honigkuchen, Herr Harder. Astrid hat ihn selbst gebacken.“
Harder fühlte sich in Frau Libergs einfacher, aber sehr gemütlicher Stube wohl, und es gefiel ihm, daß man sich in diesem Hause so ganz ungekünstelt gab.
„Natürlich hat Astrid von Ihrem Gut erzählt“, sagte Frau Liberg. „Das können Sie sich doch denken! Es muß wundervoll draußen bei Ihnen sein.“
„Und einen flotten Hund haben Sie, eine dänische Dogge!“ ergänzte Hein.
„Ja, Jean ist ein vornehmer Herr“, lachte Harder. „Fräulein Astrid ist übrigens seine große Liebe. Sie müssen alle bald einmal herauskommen und ihn besuchen. Der arme Jean ist zur Zeit ganz einsam und verlassen.“
„Einsam und verlassen?“ antwortete Astrid verwundert.
„Ja, Gerda ist in Oslo, und ich selbst bin ja auch mehrere Wochen von zu Hause fort gewesen.“
„Sie hätten Jean doch zu uns schicken können“, meinte Frau Liberg.
„Hier im Hause sind nämlich alle Hunde willkommen“, warf Jörgen Trahne ein.
Es hatte ein kleiner Scherz sein sollen, aber der Tonfall war nicht ganz geglückt. Astrid lachte.
„Du weißt nicht, was du sagst, Mutti!“ sagte sie. „Wir müßten die Wand zwischen der Wohnstube und dem Schlafzimmer niederbrechen lassen, damit Jean sich umdrehen kann. Und wenn es ihm etwa einfallen sollte, mit dem Schwanz zu wedeln, dann würde er alles, was nicht niet- und nagelfest ist, von Tisch und Schränken herunterwedeln.“
„Dann werden wir uns wohl an Timian halten müssen“, sagte Frau Liberg, und sie streichelte den struppigen kleinen Kopf, der sich ihr auf den Schoß legte und die Augen voller Verlangen auf die Kuchenschüssel gerichtet hielt.
Harder heftete seine Blicke auf Frau Liberg. Astrid glich ihrer Mutter. In zwanzig Jahren würde sie ebenso aussehen. Sie würde dieselbe Ruhe, dieselbe Harmonie in ihrem Wesen haben und dasselbe schöne Lächeln, dieselben klaren Augen und dasselbe sichere Auftreten, das für die moderne, kultivierte Frau kennzeichnend ist. Unter den behutsamen Händen ihrer Mutter würde Astrid sich zu einer Frau mit Verstand und Einsicht entwickeln, deren Augen dieselbe Herzenswärme ausstrahlen würden wie die Frau Libergs.
Aber Astrid war bezaubernd – gerade jetzt mit ihren einundzwanzig Jahren und mit all ihrer
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