Gewagt - Gewonnen
ihren Tisch zurückführte, drückte er ihren Arm.
„Astrid!“ flüsterte er. Sonst nichts.
Sie begegneten Jörgen und Gerda.
„Ich sagte gerade zu Herrn Trahne, Sie könnten doch an unseren Tisch kommen“, erklärte Gerda in ihrem entschiedenen Ton.
Astrid warf einen schnellen Blick auf Jörgen, und sie fühlte sofort, was in ihm vorging.
„Danke, Fräulein Harder“, sagte sie. „Aber wir wollten bald gehen. Wir haben beide morgen früh viel zu tun und möchten daher nicht so spät ins Bett kommen.“
Astrid tauschte einen schnellen Blick mit Jörgen Trahne aus, und sie sah, daß er sie verstanden hatte und ihr dankbar war. „Fräulein Liberg hat recht – wie immer“, sagte Trahne lächelnd. „Vielen Dank für den Tanz, den Sie mir geschenkt haben, gnädiges Fräulein.“
Er machte eine knappe Verbeugung vor Gerda Harder und reichte Astrid den Arm, um sie zurückzubegleiten.
Jörgen Trahnes Augen hatten einen freudigen Glanz bekommen. Er war so erleichtert und froh, wieder mit Astrid allein zu sein. Er hatte Fräulein Harder den Tanz nicht abschlagen können, aber er hatte sich in ihrer Gesellschaft gar nicht wohl gefühlt. Weder für Gerdas etwas derbe Ausdrucksweise noch für ihre platinblonden Locken und Türkise besaß er die richtige Empfänglichkeit. Sie hatten sozusagen verschiedene Wellenlängen. Und als er nun die Blicke forschend auf Astrid ruhen ließ, schüttelte er unmerklich den Kopf. Er konnte nicht begreifen, wie Astrid zu einem solchen Bekanntenkreis kam. Sie und Gerda waren so verschieden wie der Tag und die Nacht. Astrid plauderte aber munter, unbefangen und zufrieden, und sie blieb dabei, ihn zu duzen. Als er in seiner Verwirrung „Sie“ sagte, lächelte sie ihm zu.
„Schon im Krankenhaus waren wir doch per Vornamen - um Timians willen“, sagte sie. „Und Sie und Vorname, das geht nun einmal nicht!“
Und indem sie es sagte, wurde ihr klar, daß sie vor einem halben Jahr nie, nie den Mut gehabt hätte, einen jungen Mann so geradeheraus anzureden.
Ein wunderbares Gefühl der Befreiung überkam sie. Sie schüttelte die letzten Reste der kleinen, befangenen Astrid mit den Minderwertigkeitskomplexen ab. In ihrem eigenen Bewußtsein stieg sie hervor, so wie sie jetzt war: eine glückliche, zufriedene, selbständige, berufstätige Frau. Und das bewußte Gefühl der Befreiung und Selbständigkeit machte sie unendlich froh…
Es war doch ziemlich spät geworden, als sie endlich mit dem Aufbruch Ernst machten. Trahne wollte ein Taxi nehmen, aber Astrid schlug vor, lieber zu Fuß zu gehen. Es war sternenklar und wunderbar still.
Sie gingen also zu Fuß. Und sie wechselten ruhig und mit leiser Stimme von Zeit zu Zeit einige Worte. Astrid fragte nur wenig – gerade soviel, wie nötig war, wenn die Unterhaltung nicht ganz und gar ins Stocken geraten sollte. Sie erfuhr dabei von Jörgen nur wenig über sein Leben, aber sie zog aus dieser und jener Antwort ihre Schlüsse und reimte sich zusammen, was sie nicht wußte.
Trahne hatte vor einigen Jahren seinen Vater verloren und sich während seines Studiums durchschlagen müssen, so gut es eben ging. Er war Gerichtsassessor und Anwaltsgehilfe gewesen, und seit August war er Polizeikommissar. Und er lebte ganz allein hier in der Stadt.
Schulden aus der Studienzeit, dachte Astrid. Vielleicht eine Mutter oder Geschwister, die unterstützt werden mußten. Keine Mittel, um gesellschaftlichen Verkehr zu pflegen. Dieser Abend war für ihn genauso wie für sie selbst ein großes Erlebnis.
Es war alles dunkel und still, als Astrid zu Hause anlangte. Kaum hatte sie aber die Tür geöffnet, kam Timian herausgestürzt.
„Vielen, vielen Dank für den schönen Abend, Jörgen“, sagte Astrid und reichte ihm die Hand.
„Ich habe zu danken, Astrid. Ich… ich stehe tief in deiner Schuld.“
„Hör auf!“ sagte Astrid. „Bilde dir nur ja nichts dergleichen ein. – Aber ja doch, Timian! Ich bin es, friß mich nur nicht bei lebendigem Leibe auf! Du mußt bald wiederkommen, Timian, und mich besuchen.“
„Wuff!“ sagte Timian.
„Da hörst du es“, lachte Astrid. „Nun hat Timian es versprochen.“
Timian lief vergnügt an der Seite seines Herrn durch die nachtstillen Straßen. Jörgen Trahne hatte die Hände tief in die Taschen vergraben und hing seinen Gedanken nach. In seiner Bude angelangt, setzte er sich auf einen Stuhl und starrte vor sich hin. Timian legte ihm den Kopf auf die Knie.
„Kannst du Astrid auch so gut leiden,
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