Gewalt ist eine Loesung
Öffentlichkeit waren ebenfalls ruhig gestellt. Man rechnete mit Schuldsprüchen auf beiden Seiten, denn auch Paul drohte eine Verurteilung. Bei der Festnahme waren seine blutverschmierten Stiefel als Beweismittel sichergestellt worden. Er musste mit einer Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch rechnen, wenn die vorgeladenen Autonomen ihn vor Gericht belasten würden. Eine heikle Mission stand uns bevor.
Frank und Paul gaben bei ihren Zeugenaussagen zu Protokoll, dass sie auf ein »Spiel-Abschlussbier« in ihre Stammkneipe hatten gehen wollen und auf der Straße grundlos von Autonomen angegriffen worden seien. Meine Aussage war vergleichsweise kurz: Durch lauten Kampflärm angelockt, war ich zum Tatort gerannt, hatte Frank blutend auf der Straße vorgefunden und ihn in Sicherheit gebracht. Zu irgendwelchen Einzelheiten oder Personen könne ich leider nichts sagen.
Danach wurde der erste Autonome aufgerufen. Der Richter forderte ihn auf, zu dem betreffenden Abend Stellung zu nehmen. Und der Autonome setzte zu seiner Aussage an: »Wir saßen zusammen in der Küche und überlegten, ob wir uns bewaffnen sollten.«
Der erfahrene Richter verlor augenblicklich die Fassung und fuhr dem Autonomen direkt ins Wort: »Sie sitzen also an einem Sonntagabend in einer Küche und beratschlagen, ob Sie sich bewaffnen sollen? Habe ich Sie richtig verstanden?« Der Autonome erwiderte: »Ja, wegen der Hooligans.« Der Richter schüttelte den Kopf und fragte, ob unter den Waffen vielleicht auch ein Hammer gewesen sei. Das wiederum konnte der Zeuge natürlich nicht bestätigen. Von einem Hammer wollte er nichts gewusst haben. Der Richter war bedient.
Der Autonome setzte seine Schilderung dieses Abends fort. Er berichtete, dass sie unmittelbar beim Verlassen des besetzten Hauses grundlos von drei Hooligans angegriffen worden seien. Der Richter unterbrach ihn erneut: »In diesem Gerichtsaal sitzen nun einige der Beteiligten. Könnten Sie sich bitte umdrehen und auf die Personen zeigen? Und wieso reden Sie überhaupt von drei Hooligans? In meinen Akten ist immer nur von zwei Angreifern die Rede!«
»Nein, es waren drei!« Und dann drehte er sich um, zeigte mit dem Finger auf Frank, dann auf Paul – und am Ende zeigte er auf mich. Mein Herz sprang mir den Hals hoch. Mein Pulsschlag explodierte förmlich und ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. In meinem Kopf wüteten hektische Stimmen. Ruhig bleiben! Bleib ruhig! Lass dir jetzt bloß nichts anmerken. Ich verzog nicht eine Miene. Aber mir war schlagartig klar: Wenn nun alle vier Autonomen diese Aussage bestätigen würden – und das hätte ja der Wahrheit entsprochen –, dann wäre es das für mich gewesen. Schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung – als Polizist? Schnitt, Klappe, Abspann.
Neben mir saßen ausgerechnet zwei Pressevertreter vom Westfalenblatt und der Neuen Westfälischen. Ich konnte aus dem Augenwinkel spüren, wie sie augenblicklich ihre Köpfe um 90 Grad zu mir hin drehten und mich verwundert anstarrten. Äußerlich gelang es mir zwar, ruhig zu wirken. Aber in mir fuhren meine Gedanken Achterbahn. Der Richter war völlig verstört und fragte noch einmal nach, ob er sich bei der dritten Person tatsächlich sicher wäre.
Der Autonome schaute mich erneut an – direkt in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick ausdruckslos. Die Sekunden verstrichen wie Stunden in diesem Augenblick. Die Reporter neben mir zogen sich schon die kleinen Schreibblöckchen zurecht. Und dann hörte ich den Autonomen wieder: »Na ja … so ganz bin ich mir nicht mehr sicher.« Ich atmete kurz auf, wusste aber sofort, dass da noch drei weitere Zeugen auf ihre Aussagen warteten. Wenn diese drei mich wiedererkennen würden, wäre ich endgültig geliefert.
Und dann geschah etwas, das ich mir bis heute nicht erklären kann: Der Richter verzichtete darauf, die verbliebenen Zeugen nach meiner etwaigen Tatbeteiligung zu befragen. Ich weiß nicht, ob er mich absichtlich verschonen wollte oder etwas anderes hinter seiner Entscheidung gestanden hat. Ich weiß nur, dass der Mann mich bewusst oder unbewusst vor schwersten juristischen Konsequenzen bewahrt hat. Vielleicht war er zu aufgebracht über die Tatsache, dass ihm gleich der erste Zeuge beiläufig schilderte, wie man in dem besetzten Haus darüber nachgedacht hatte, ob und wie man sich bewaffnen würde. Vielleicht konnte der Richter Autonome nicht leiden und sympathisierte heimlich mit
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