Gewalt ist eine Loesung
klang resigniert und enttäuscht. Was konnte ich denn noch tun? Wie würde ich diese Situation noch retten können? Ich versprach ihm, mich ein wenig umzuhören. Er nickte mir kaum merklich zu. Ich wusste in diesem Moment eines sicher: Ich hatte vielleicht ein wenig Zeit gewonnen. Aber der Druck auf mich würde fortan immer größer werden.
Etwa einen Monat später besuchte ich mit meinen Fußball-Jungs eine Techno-Disko in der Innenstadt. Ich setzte mich an die Theke und bemerkte, wie auf der gegenüberliegenden Seite ein Typ mit Drogen handelte. Ein junger Bursche in meinem Alter, der mitten in dem Laden ungeniert seine Drogen verkaufte. Geld in die linke Hosentasche, Pillen aus der rechten. Kurzzeitig bildete sich sogar eine kleine Warteschlange – der Typ musste an Abenden wie diesen eine Menge Kohle verdienen
Wie ich so dastand und den Dealer bei seiner Arbeit beobachtete, kam Thorsten auf mich zu. Er war einer der Älteren bei der Blue Army und mischte nur noch gelegentlich bei Schlägereien mit. Wir kannten uns flüchtig, gingen uns aber meistens aus dem Weg. Und dies hatte einen besonderen Grund: Thorsten war der größte Kokain- und Ecstasy-Händler in der Bielefelder Hooligan-Szene. Ich wusste es und ich nahm es so hin. Seinen Stoff verkaufte er an erwachsene Männer – das reichte mir in diesem Fall vollkommen als Rechtfertigung. Mehr musste und wollte ich auch gar nicht wissen.
Solange er das Zeug nicht an junge Kids verschleuderte, konnte ich mit der Geschichte leben. Aber Thorsten wusste natürlich, dass ich ein Bulle war. Grund genug – bei allen Gemeinsamkeiten –, auf eine engere Freundschaft zu verzichten. Wir unterhielten uns dennoch ein wenig und kamen bald auf den Drogendealer schräg gegenüber zu sprechen, der noch immer fleißig seine Pillen verkaufte.
Ich wandte mich Thorsten zu: »Wer ist das?« Seine Antwort war eindeutig: »Fragst du mich als Kumpel oder als Bulle?« Sein Misstrauen konnte er nicht verbergen. »Ich frage als Bulle!«, antwortete ich, um jedes spätere Missverständnis ausschließen zu können. Er nickte fast unmerklich: »Okay. Der Typ heißt Jens Müller und wohnt in der Innenstadt. Er ist ein Drogendealer der mittleren Ebene.« Es wurde spannend. »Und von wem bekommt er die Ware?«, bohrte ich nach. »Ich weiß nur, dass er etwa alle zwei Wochen nach Holland fährt. Dort arbeitet er mit einem festen Lieferanten zusammen.«
Ich wollte noch mehr von Thorsten erfahren. Vor allen Dingen, wie er selbst zu dem Dealer stand: »Was ist das für einer? Stehst du in irgendeiner Beziehung zu ihm?« Er zuckte teilnahmslos mit den Schultern: »Ich kenne ihn nicht persönlich – der Kerl ist mir scheißegal.« Das Gespräch war beendet. Für alle Zeiten. Über diese Sache wechselten Thorsten und ich nie wieder ein Wort.
Und da stand ich nun mit meiner Top-Information. Was sollte ich damit anfangen? Einen Bericht schreiben? Die Sache für mich behalten? Ich wollte doch nie, dass der Polizeiberuf in mein Privatleben eindringt. Würde ich nicht einen Pakt mit dem Teufel eingehen, wenn ich meine Jungs für irgendwelche Polizeiermittlungen einspannte? Wo fing so etwas an und wo würde es enden? Zumal bei meinem Lebenswandel. Ich war doch an den Wochenenden schon häufig genug mit allen möglichen Straftaten konfrontiert. Sollte ich mich tatsächlich auch noch gezielt danach umschauen?
Ein Dilemma, mit dem viele Polizisten zu kämpfen hatten. Die meisten wählten den einfachen Weg und wichen einer Entscheidung schlichtweg aus. Sie wohnten nicht in dem Viertel, in dem sie arbeiteten – das entspannte die Lage schon ein wenig. Was aber, wenn auf Familienfeiern oder Gartenpartys über den kaputten Fernseher gesprochen wurde, der einfach bei der Versicherung gemeldet worden war? Was, wenn der nette Nachbar besoffen vom Schützenfest nach Hause gefahren war und dabei eine kleine Fahrerflucht begangen hatte? Kavaliersdelikte? Verbrechen oder Kleinigkeiten? Melden oder weghören?
Meine grundsätzlichen Überlegungen wurden durch den zunehmenden Druck des SKB beeinflusst und erschwert. Volkerts hatte mir schon einiges durchgehen lassen. Er hatte bislang nicht einen Bericht über meine Freizeitaktivitäten geschrieben, was für mich verheerende Folgen gehabt hätte. Und hier ging es um professionellen Drogenhandel. Der Typ verkaufte sein Zeug auch an Jugendliche. Ich traf eine Entscheidung!
Während einer Nachtschicht, als gegen drei Uhr etwas Ruhe eingekehrt war, setzte ich mich in
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