Gewalt ist eine Loesung
weiteres Mal auf.
18. Blutgrätsche –
Showdown auf Mallorca
Harte Zeiten standen uns bevor. 1995 – keine Weltmeisterschaft auf dem Programm, keine Europameisterschaft, die Bundesliga ging in die Sommerpause, acht Wochen ohne Fußball – Zeiten wie diese verlangten nach einem Notfallplan. Und es konnte nur eine Lösung geben: Mallorca. Frank, Paul und ich verbrachten jede freie Minute miteinander. Wir gingen in denselben Boxverein, wir verabredeten uns zum Joggen am Obersee, wir besuchten dieselben Partys und waren gemeinsam zu Geburtstagen oder Hochzeiten eingeladen. Uns gab es eigentlich nur noch im Dreier-Pack, ganz egal, worum es ging: Sport, trinken, feiern – Schlägereien.
Mallorca! Die Entscheidung fiel auf Cala Ratjada und in kürzester Zeit waren drei weitere Jungs aus Bielefeld mit an Bord – darunter auch der Onkel – und dazu noch neun Jungs aus Hamburg. Das Reiseprogramm musste nicht weiter diskutiert werden: 15 Mann, 14 Tage Party. Das Reisegepäck: Shorts, T-Shirts, größere Mengen Kopfschmerztabletten und Maaloxan gegen Sodbrennen. Unser Reisegefährte Mark hatte überdies noch eine Portion Haschisch von der Größe einer Tafel Schokolade im Gepäck, um die zwei Wochen in Spanien einigermaßen über die Runden zu kommen. Für einen echten Polizisten wäre das ein guter Fang gewesen, aber war ich ein echter Polizist?
Zu unserem Erstaunen lief uns schon am ersten Tag eine Gruppe junger Münsteraner Hooligans vor die Fäuste. Münster und die Armina spielten zu jener Zeit zwar in unterschiedlichen Ligen, die Rivalität zwischen den beiden Fan-Gruppen blieb aber trotzdem bestehen. Eine Gruppe von acht jüngeren Kerlen, deren Outfit der ganzen Welt signalisieren sollte: Achtung, wir sind Fußball-Hooligans und wir sind gefährlich! Alle acht Kerle in Komplettausstattung, bestehend aus Blue-System- und Chevignon-Klamotten und dazu die obligatorischen New-Balance-Turnschuhe. Für uns an diesem Nachmittag der erste Lacher, denn in dieser Uniform ging man eigentlich schon seit geraumer Zeit nicht mehr zum Fußball, weil mittlerweile selbst der älteste Dorfpolizist diese Marken mit Fußball und Gewalt in Verbindung brachte.
Die Sache war in wenigen Sekunden erledigt. Münsteraner Nasenbeine brachen wie Hähnchenknochen und der Erholungsurlaub der acht Preußen-Anhänger war am ersten Tag bereits beendet – für uns fing er gerade erst richtig an. Ich sehe noch heute die entsetzten Gesichter unzähliger Touristen, die Augenzeugen dieser kurzen, aber heftigen Schlägerei geworden waren. Und ich sehe vor allem noch die verstörten Blicke, die uns verstohlen musterten, wie wir – gleichsam ohne jede erkennbare Emotion – einfach wieder zu unseren Tischen an der Promenade zurückkehrten und die nächste Runde Wodka bestellten.
Diese Abgestumpftheit, die in uns allen steckte, mochte für viele Menschen das Unerklärlichste an unserem Verhalten gewesen sein. Wir waren eine Gruppe von Männern, die scheinbar grundlos explodieren und andere Menschen auf brutalste Weise verletzen konnten, um von einer Sekunde auf die andere wieder zur Tagesordnung überzugehen. Party, Schlägerei, weiterfeiern. Ohne jede Form von Reflexion. Hatten wir andere verletzt? Wenn ja, dann völlig zu Recht! Einen Wodka, bitte!
Es gab nicht den geringsten Grund, unser Handeln zu überdenken. Wir waren zu jener Zeit bei zwei bis drei Schlägereien pro Monat derart an körperliche Gewalt gewöhnt, dass keiner von uns auch nur ansatzweise darüber ins Grübeln kam. Die sogenannte Hemmschwelle, die den Menschen normalerweise vor solchen Gewaltausbrüchen bewahrt, war bei uns über die Jahre hinweg verschoben worden. Eigentlich existierte sie gar nicht mehr.
Ich erinnere mich, wie ich nach einer Kneipentour am Morgen danach von meiner Freundin geweckt wurde. Sie war völlig außer sich, weil sie mein blutverschmiertes Shirt im Bad gefunden hatte. Sie beschimpfte mich, machte mir schlimmste Vorwürfe und ich brauchte Minuten, bis ich mich an einen »kleinen« Zwischenfall mit ein paar Skater-Typen vom Vorabend erinnern konnte. Eine Schlägerei war für mich längst kein prägendes Ereignis mehr – es war Alltag. Wie alltäglich, sollte ich in diesem Urlaub noch erfahren.
Ich saß mit einem der Hamburger Jungs in einer Bar. Er hieß Timo. Deutsche Mutter, griechischer Vater. Seine Spezialität: zuerst Karate und dann Muay-Thai-Boxen. Bei dieser Kampfsport-Variante handelt es sich um eine verschärfte Art des Kickboxens, bei der
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