Gewalt ist eine Loesung
Knie- und Ellenbogenschläge an den Kopf zugelassen sind. Timo wohnte damals in einem üblen Hamburger Stadtteil, in dem eine solide Kampfsport-Ausbildung nicht schaden konnte. Er wurde plötzlich ernst: »Stefan, kann ich dir mal was erzählen?«
Ich spürte sofort, dass ihn etwas beschäftigte. Er rang nach den richtigen Worten: »Ich habe in letzter Zeit etwas Angst vor mir selbst.« Ich wusste nicht, was er mir damit sagen wollte, und wartete, bis er seine Gedanken neu gesammelt hatte. »Ich glaube, ich würde gerne erfahren, wie es ist, die Grenzen noch weiter auszuloten«, fuhr er – noch immer kryptisch – fort. Nach einer weiteren kurzen Pause legte er seine Gedanken offen: »Wie ist es wohl, wenn jemand so lange geschlagen wird, bis er stirbt?«
Hatte ich richtig gehört? Ich wusste nicht, ob ich ihn tatsächlich verstanden hatte, da hörte ich erneut seine leise Stimme: »Weißt du, eine harte, ausgeglichene Schlägerei, die einfach nicht endet. Bei der es kein Halten gibt, wenn der Gegner aufgibt oder bewusstlos am Boden liegt. Eine Schlägerei, die mit dem Tod eines Kämpfers endet. Daran muss ich in letzter Zeit häufig denken.«
Mir fehlten die Worte. Noch heute kann ich mich stammeln hören: »Wie, totschlagen …? Du willst einen Menschen totschlagen?« Er nickte kaum erkennbar. »Ja, es ist ein großer Schritt, das ist mir schon bewusst. Und es würde alle Normen sprengen. Aber ich würde gerne erfahren, wie es sich anfühlt, jemanden mit den bloßen Händen totzuschlagen.«
Mir wurde flau im Magen. Neben mir saß eine laut tickende Zeitbombe. Der nette Kerl aus Hamburg, mit dem ich mich gerade noch über Fußball unterhalten hatte, saß an einer Bar und gestand mir seine Tötungsfantasien. Was sollte ich da erwidern? Mir war bewusst, dass dies ein ganz fragiler Moment war. Ich suchte nach Worten: »Reicht es denn nicht, eine Schlägerei zu gewinnen? Ist es nicht eine Genugtuung, jemandem die Nase zu brechen?«
»Schon, aber dieses Gefühl hat sich nach den vielen Schlägereien abgenutzt. Die einzige Steigerung, die ich mir im Kampf noch vorstellen kann, ist der Tod meines Gegners«, erwiderte Timo. Ich muss gestehen, dass ich an diesem Abend die düstere Vorahnung bekam, dass Timo vielleicht schon bald Ernst machen könnte. Und wer würde ihn dann davon abhalten können?
Ein paar Tage später war ich mit Paul, Nils, Lars und Timo unterwegs. Wir hatten schon ein paar Tage und Nächte auf Mallorca hinter uns und die Stimmung war – von meinem Gespräch mit Timo abgesehen – noch immer prächtig. Aber ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich Timo heimlich, fast unbewusst beobachtete. Ich musterte ihn verstohlen, immer auf der Suche nach einem verborgenen Hinweis auf seine Tötungsfantasien. Und ich spürte, wie ich insgeheim hoffte, dass Timo vorerst nicht in eine Schlägerei verwickelt werden würde.
Wir kamen an einer Burger-King-Filiale vorbei. Unzählige Gäste saßen in der warmen Sommernacht vor dem Lokal und stärkten sich mit Hamburgern und Pommes. An einem benachbarten Tisch saßen zwei junge Frauen und ein großer, kräftiger Typ mit kurzrasierter Ted-Tolle. Plötzlich stand Timo auf, ging zu dem Tisch und blieb dicht vor den drei Gästen stehen. Timo blickte dem Ted in die Augen, nahm den Burger von dessen Teller und biss genüsslich rein. Er blieb stehen und kaute in aller Ruhe. Der Ted blieb ruhig, hob die Hand und verlangte seinen Burger zurück. Ich merkte, wie mich die innere Unruhe der vergangenen Tage langsam übermannte. Würde Timo sich im Griff haben?
Mit seiner linken Hand griff Timo nun nach dem Cola-Becher, der vor dem Ted auf dem Tisch stand, und nahm einen großen Schluck aus dem Trinkhalm. Alarmstufe Rot. Ein falsches Wort von der Tolle und es würde ein Sturm losbrechen, das spürte ich ganz deutlich. Ich starrte gebannt zu dem Nachbartisch. Und tatsächlich, der Ted griff Timo am linken Handgelenk und sagte: »Es reicht jetzt. Hör auf! Es reicht!«
Das war’s. Der Typ hatte es gewagt, sich zu wehren! Der Abzugshebel einer entsicherten Waffe wurde mit diesem Griff an Timos Handgelenk gezogen. Timo schleuderte den Burger auf den Tisch, packte den Ted mit beiden Händen am Hals, zog ihn hoch und knallte seinen Kopf mit voller Wucht auf die Tischplatte – mitten in das Burger-Menü. Er riss den Schädel des noch immer konsternierten Teds noch einmal hoch und ließ ihn erneut auf den Tisch klatschen.
Die beiden Mädchen an der Seite des Teds schienen starr
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