Gewalt ist eine Loesung
würde. Wir rasten mit knapp 100 km/h durch Bielefeld. Ein weiterer Funkspruch der Kollegen ging zur Statusmeldung an die Zentrale: »Brauchen nach wie vor Unterstützung. Jetzt beteiligen sich auch der Lebensgefährte der Mutter und ein weiterer Bruder an dem Streit.« Ich drückte die Taste 4 an der Funksprechanlage. Damit änderte ich unseren Einsatzstatus von »Anfahrt zum Einsatzort« auf »Eintreffen«. Wir waren da.
Mein Puls raste, mein Gesicht brannte und muss vor Anspannung schon ganz rot gewesen sein. Ich ließ meinen Kollegen zuerst in die Wohnung eintreten. Der betrunkene Typ, bei dem es sich vermutlich um den »Gewalttäter Sport« handelte, bedrohte den neuen Freund seiner Mutter. Die bereits eingesetzten Kollegen standen zwischen den Streitparteien und versuchten, beschwichtigend auf beide Seiten einzureden. Ich schob mich vorsichtig an meinen Kollegen vorbei und schaute mir den Kerl an.
Ein fremdes Gesicht! Noch nie zuvor gesehen! Ein unbedeutender junger Kerl – vermutlich aus dem Nachwuchs. Oder einer, der einfach einmal im Rahmen eines Arminia-Spiels besoffen einen Polizisten angepöbelt hatte. Das reichte mitunter aus, um in die GS-Datei aufgenommen zu werden.
Die Hooligan-Datei war zu jener Zeit sehr umstritten und ist es auch heute noch. Wann und warum jemand als »Gewalttäter Sport« gespeichert wurde, war dehnbar. Man musste nicht zwingend wegen einer für Hooligans typischen Straftat wie Körperverletzung oder Landfriedensbruch rechtskräftig verurteilt worden sein. Manchmal genügte es schon, einschlägige Szenekneipen oder bestimmte Stehplatz-Tribünen zu besuchen, um registriert zu werden. Nicht etwa Staatsanwälte oder Richter beantragten die Aufnahme in die Hooligan-Datei, sondern die szenekundigen Beamten der betreffenden Stadt.
Niemand wurde darüber informiert, ob und weshalb er als » Gewalttäter Sport « erfasst wurde, obgleich die Aufnahme in diese Datei unangenehme Folgen haben konnte. Die Daten wurden gerade bei Europa- oder Weltmeisterschaften, aber auch bei internationalen Vereinswettbewerben abgefragt. Wer im Umfeld von Ausschreitungen kontrolliert wurde und in dieser Datei vermerkt war, musste mit einer Verhaftung rechnen – ganz egal, ob er an den Krawallen beteiligt war oder nicht.
Außerdem musste ein sogenannter GS an Flughäfen oder bei Grenzübertritten damit rechnen, mit einem Aus- oder Einreiseverbot belegt zu werden. Es kam auch vor, dass der szenekundige Beamte plötzlich an der Arbeitsstelle oder vor der Wohnungstür auftauchte, um dem betreffenden GS mitzuteilen, dass er nicht in dieses oder jenes Land reisen dürfe.
Die szenekundigen Beamten besitzen praktisch uneingeschränkte Macht über die GS-Datei. Sie allein können entscheiden, ob es zu einem Eintrag oder einer Löschung kommt. Falls es doch einmal eine kritische Nachfrage gibt, schreiben sie eine kurze Stellungnahme und der Fall ist erledigt. Wer sonst sollte dieses Personenumfeld auch besser beurteilen können?
Es bleibt der Verdacht, dass sich die SKBs mithilfe dieser Datei ihren eigenen Arbeitsplatz sichern. Je mehr Personen sie als »Gewalttäter Sport« gespeichert haben, desto unverzichtbarer machen sie sich selbst. Zusätzliche Planstellen? Eine fällige Beförderung? Bessere Diensträume? Mehr Ausrüstung? Die Größe der Datei kann über vieles entscheiden. Bundesweit sind derzeit etwa 11.000 GS registriert – rund 120 kommen aus Bielefeld. Aber wenn ich an diesen besoffenen 20-jährigen Typen denke, der in jener Nacht in der Wohnung seiner Mutter herumtobte, fällt es mir schwer, an die Seriosität dieser Hooligan-Datei zu glauben. Mit organisierten Krawallen oder der Blue Army Bielefeld hatte der gar nichts zu tun. Was mich damals sehr beruhigte, als ich meinem Kollegen half, dem Kerl Handschellen anzulegen.
Was für eine verkehrte Welt. Ein echter »Gewalttäter Sport« in Uniform legte einem vermeintlichen GS Handschellen an und führte ihn ab. Es konnte eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ich endlich auffliegen würde.
20. Videobeweis –
Aufstiegsfeier mit Nebenkriegsschauplätzen
Angriff: Fritz Walter. 33 Spiele, 21 Tore. Mittelfeld: Thomas von Heesen. Tor: Uli Stein. Das war 1996 und wir wussten nicht, ob das Traum oder Wirklichkeit war. Noch ein Jahr zuvor hatten wir den Aufstieg in die 2. Bundesliga gefeiert und nun stand da am 8. Juni 1996 dieses 2:1 gegen Hannover 96 auf der Anzeigetafel und das hieß: Aufstieg in die 1. Liga. Nur ein Jahr zuvor hatten
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