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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schubert Stefan
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hielten Schlagwerkzeuge in ihren Händen und wurden – noch in dem Fahrzeug sitzend – von ein paar Hamburger Kumpels angegriffen. Durch die offenen Fenster schlugen und traten sie auf die Autobesatzung ein – in der Innenstadt von Bielefeld herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände.
    Ich hielt mich zunächst am Rand des Klosterplatzes auf und beobachtete die Szenerie mit etwas Abstand. Ich konnte kaum glauben, dass noch immer keine Polizei vor Ort war. Hier standen sich 200 zornige Männer gegenüber, die gerade im Begriff waren, endgültig zu klären, wer künftig das Sagen auf Bielefelds Straßen haben würde, und die Ordnungskräfte weilten im Feierabend.
    Die Türken hatten sich mittlerweile in zwei Kneipen zusammengezogen. Ich konnte aus der Entfernung sehen, dass sie mit Baseball- und Hockeyschlägern, abgerissenen Holzlatten, Barhockern, Aschenbechern, Flaschen und Gläsern bewaffnet waren. Ihnen gegenüber standen nicht mehr nur die Blue Army Bielefeld und die Hamburger Ultras, sondern auch immer mehr junge Männer von der Straße. Manche von ihnen kamen aus dem Fußball-Umfeld, andere hatten noch ein paar offene Rechnung zu begleichen. Die Auseinandersetzung eskalierte von Minute zu Minute und geriet völlig außer Kontrolle. Grabenkämpfen gleich flogen von beiden Seiten Flaschen, Gläser, Bierkrüge und Aschenbecher.
    Ich stand noch immer am Rand und beobachtete die Szenerie von außen. Im Grunde waren mir die Hände gebunden. In dieser Stadt arbeitete ich seit einiger Zeit als Streifenpolizist. Und nun trat genau das ein, was mich schon lange zermürbt hatte. Meine Jungs lieferten sich eine Straßenschlacht und ich konnte nicht eingreifen. Nicht als Hooligan und schon gar nicht als Polizist. Die Wahrscheinlichkeit, in Bielefeld bei einer Schlägerei aufzufallen, war viel zu hoch. Ich konnte einfach nicht eingreifen. Es ging nicht.
    Im Foyer erkannte ich plötzlich alte Gegner wieder. Dieselben Türken, mit denen wir in der Vergangenheit schon mehrere Schlägereien im Bielefelder Nachtleben ausgetragen hatten. Der Anblick dieser Gruppe gab den Ausschlag. Polizist in Bielefeld oder nicht. Das Risiko, entdeckt zu werden, war mir nun egal. Diese Typen wollte ich mir schon seit längerer Zeit schnappen. Hier war die Gelegenheit. Jetzt oder nie. Ein kurzer Blick, rasch die Lage gescannt, ob vielleicht doch schon die Polizei vor Ort war – und dann legte ich los.
    Ganz ruhig und konzentriert steuerte ich auf das Foyer der Kneipe zu, in der sich die Türken verschanzt hatten. Ich beschleunigte meinen Schritt, um mich herum zersplitterten Flaschen und Gläser. Noch 40 Meter, 30 Meter, leichter Trab, Adrenalin, Tunnelblick, 20 Meter, Wut, Zorn, 10 Meter, Rache, Vergeltung. Riesige Fensterscheiben zersprangen, Kampflärm, noch fünf Meter, ein Barhocker flog auf mich zu, ich hob ihn auf – und stopp! Wir standen uns gegenüber und fixierten uns gegenseitig mit zornigen Blicken. Ein Frontalangriff bei sechs gegen einen kam aber nicht infrage. Ich wollte mir einen greifen, der am Rand steht, und dann …
    In meiner Rechten hielt ich noch immer den Barhocker. Durch meinen Vorstoß schienen sich immer mehr Jungs ermuntert zu fühlen und stürmten hinter mir in das Foyer. Es hagelte wieder Aschenbechern, Flaschen und Stühle. Weiter vor! Weiter! Ganz egal, was passieren würde. Die Sechsergruppe bewegte sich rückwärts die Treppe zu einer Keller-Diskothek runter. Eine sehr schmale, steile Treppe. Und wieder stopp! Alleine würde ich ihnen nicht folgen können. Ich musste eine Entscheidung treffen.
    Der Barhocker fiel auf den Boden, ich drehte mich um und zog mich wieder zurück. Ende. Kein Angriff. Abkühlen. Die Lage checken. Mit Polizeiaugen mögliche Gefahren sehen. Weg. Nicht der mittlerweile anrückenden Polizei in die Arme laufen.
    Die ersten Streifenwagen fuhren mit quietschenden Reifen vor. Ruhig bleiben. Nicht auffallen. Ab nach Hause. Ich nahm an, dass mich bis dahin niemand erkannt hatte. Ich hatte keine Beamten übersehen und meine Polizeikollegen hatten mich nicht gesehen. Die Sache war knapp, aber sie ging wenigstens gut für mich aus. Das zumindest nahm ich an.
    Und tatsächlich. Die Polizei hatte mich an jenem Abend nicht gesehen. Aber ein Kamerateam des WDR. Die Fernsehleute arbeiteten in dieser Nacht an einer Reportage über das Bielefelder Nachtleben. Dabei waren sie plötzlich ins Zentrum schwerer Krawalle geraten. Im Schutz der Dunkelheit hatten sie die Straßenkämpfe offenbar herangezoomt,

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