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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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Pazifismus, das Hinhalten der anderen Wange, die Verwandlung von Schwertern in Pflugscharen und andere moralistische Anwandlungen nicht regelmäßig zur Verringerung der Gewalt beigetragen haben: Sie funktionieren nur dann, wenn der Gegner zur gleichen Zeit die gleichen Anwandlungen hat. Nach meiner Überzeugung verstehen wir vor diesem Hintergrund auch besser, warum Gewalt zu verschiedenen historischen Zeitpunkten eine Aufwärts- oder Abwärtsspirale durchmachen kann. Jede Seite muss so aggressiv sein, dass sie für den Gegner nicht zur leichten Beute wird, und oftmals ist Angriff die beste Verteidigung. Die so entstehende gegenseitige Angst vor Angriffen – auch Hobbes’sche Falle oder Sicherheitsdilemma genannt – kann die Kampfeslust aller eskalieren lassen (Kapitel 2 ). Selbst wenn das Spiel immer wieder gespielt wird und die Drohung mit Vergeltung (zumindest in der Theorie) beide Seiten abschreckt, kann der strategische Vorteil der übermäßigen Zuversicht und anderer selbstwertdienlicher Vorurteile zu einem Kreislauf der Konflikte führen. Nach der gleichen Logik kann eine glaubwürdige Geste des guten Willens hin und wieder erwidert werden, womit der Zyklus sich umkehrt und die Gewalt gerade dann zurückgeht, wenn alle es am wenigsten erwarten.
    Hier liegt der Schlüssel, wenn man einen gemeinsamen roten Faden erkennen will, der die historischen Faktoren, die zum Rückgang der Gewalt führten, verbindet. Alle sollten die Nutzenstruktur des Pazifistendilemmas – die Zahlen in dem Quadrat – so verändern, dass beide Seiten in das Kästchen oben links gelockt werden, das ihnen den beiderseitigen Vorteil des Friedens verschafft.
    Vor dem Hintergrund der hier dargelegten historischen und psychologischen Erkenntnisse können wir nach meiner Überzeugung fünf Entwicklungen benennen, die die Welt in Richtung von mehr Frieden gedrängt haben. Sie alle zeigen sich in unterschiedlichem Maße an einer Reihe historischer Abläufe, quantitativer Datenbestände und experimenteller Studien. Und in jedem Einzelfall kann man nachweisen, dass sie die Zahlen im Pazifistendilemma verschieben und die Menschen damit in das kostbare Kästchen des Friedens locken. Wir wollen sie in der gleichen Reihenfolge, in der sie in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt wurden, betrachten.

Der Leviathan
    Die zuverlässigste Instanz zur Gewaltverminderung, die wir in diesem Buch kennengelernt haben, ist wahrscheinlich ein Staat, der seine Bürger mit Hilfe seines Gewaltmonopols voreinander schützt. Seine einfache Logik wurde in dem Dreieck aus Aggressor, Opfer und Zuschauer (Abbildung  2 - 1 ) dargestellt und lässt sich auch in den Begriffen des Pazifistendilemmas ausdrücken. Wenn eine Regierung dem Aggressor so hohe Kosten auferlegt, dass sein Gewinn zunichte gemacht wird – beispielsweise mit einer Strafe, die dreimal so hoch ist wie der Vorteil der Aggression gegenüber friedlichem Verhalten –, verkehrt sich der Reiz der beiden Alternativen für den potentiellen Aggressor ins Gegenteil, und Frieden wird attraktiver als Krieg:
    Abbildung  10 - 2 :
    Wie ein Leviathan das Pazifistendilemma löst
    Der Leviathan – oder sein weibliches Gegenstück Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit – verändert nicht nur die Arithmetik für einen rationalen Akteur, sondern er ist auch ein desinteressierter Dritter, dessen Strafen nicht durch die selbstwertdienlichen Vorurteile der Beteiligten aufgebläht werden und der kein Ziel einer verdienten Rache darstellt. Wenn ein Schiedsrichter über das Spiel wacht, besteht für den Gegner ein geringerer Anreiz, präventiv oder zur Selbstverteidigung zuzuschlagen; das wiederum vermindert den eigenen Wunsch, eine aggressive Haltung beizubehalten, was den Druck auf den Gegner verringert, und so weiter. Damit ergibt sich eine Spirale der abnehmenden Streitlust. Und dank der allgemeinen Effekte der Selbstbeherrschung, die im psychologischen Labor nachgewiesen wurden, kann der Verzicht auf Aggression zu einer Gewohnheit werden; derart zivilisierte Parteien unterdrücken auch dann die Versuchung, aggressiv zu werden, wenn der Leviathan ihnen den Rücken zuwendet.
    Die Wirkungen des Leviathan führten zu den Befriedungs- und Zivilisationsprozessen, denen die Kapitel 2 und 3 ihre Überschriften verdanken. Als Menschengruppen, Stämme und Stammesfürstentümer unter die Kontrolle der ersten Staaten gerieten, verringerte sich die Quote der gewaltsamen Todesfälle durch die Unterdrückung von

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