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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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den anderen friedensstiftenden Kräften, über die ich in diesem Kapitel einen Überblick gebe, wurde die hinter dem sanften Handel stehende Geisteshaltung nicht unmittelbar im psychologischen Labor untersucht. Eines wissen wir aber: Wenn Menschen (und übrigens auch Affen) sich an einem Positivsummenspiel beteiligen, bei dem sie zusammenarbeiten müssen, um ein für beide Seiten nützliches Ziel zu erreichen, können sich feindselige Spannungen auflösen (Kapitel 8 ). Wir wissen auch, dass Austausch in der Realität ein gewinnbringendes Positivsummenspiel sein kann. Nur die Frage, ob der Austausch selbst die feindseligen Spannungen vermindert, ist nicht geklärt. Soweit mir bekannt ist, gibt es in der umfangreichen Fachliteratur über Empathie, Kooperation und Aggression keine Untersuchungen zu der Frage, ob Menschen, die sich in einem beiderseits gewinnbringenden Austausch engagieren, einander mit geringerer Wahrscheinlichkeit elektrische Schläge beibringen oder das Essen des anderen mit übermäßig scharfer Soße versetzen. Nach meiner Vermutung ist sanfter Handel für Wissenschaftler einfach keine reizvolle Idee. Die kulturelle und intellektuelle Elite fühlte sich immer den Geschäftsleuten überlegen, und deshalb kommt es ihr nicht in den Sinn, einfachen Kaufleuten das Verdienst für etwas so Edles wie den Frieden zuzuschreiben. [1944]

Verweiblichung
    Je nachdem, wie man es betrachtet, hatte der verstorbene Tsutomu Yamaguchi das größte Glück oder das größte Pech der Welt. Er überlebte die Atombombenexplosion von Hiroshima, aber als es dann darum ging, wohin er vor den Verwüstungen fliehen sollte, traf er eine unglückselige Entscheidung: Er fuhr nach Nagasaki. Auch dort überlebte er die Atombombe, und dann lebte er noch 65  Jahre, bevor er 2010 schließlich im Alter von 93  Jahren starb. Ein Mann, der die beiden einzigen Atombombenangriffe der Geschichte überlebt hat, verdient unsere respektvolle Aufmerksamkeit, und kurz vor seinem Tod formulierte er ein Rezept für den Frieden im Atomzeitalter: »Die einzigen Menschen, denen man gestatten sollte, Staaten mit Atomwaffen zu regieren, sind Mütter – Frauen, die ihre Babys noch stillen.« [1945]
    Damit spielte Yamaguchi auf die grundsätzlichste empirische Verallgemeinerung an, die man im Zusammenhang mit Gewalt formulieren kann: Sie wird vorwiegend von Männern angewandt. Schon in jungen Jahren spielen sie gewaltsamere Spiele als Mädchen; sie malen sich in ihrer Phantasie mehr Gewalt aus, konsumieren mehr gewalttätige Unterhaltung, begehen den Löwenanteil aller Gewaltverbrechen, finden mehr Genuss an Strafe und Rache, gehen bei aggressiven Angriffen häufiger törichte Risiken ein, stimmen für eine stärker gewaltorientierte Politik und entsprechende Politiker, und sind für Planung und Ausführung nahezu aller Kriege und Völkermorde verantwortlich (Kapitel 2 , 3 , 7 und 8 ). Zwischen den Geschlechtern gibt es zwar Überschneidungen, und der Unterschied zwischen den Durchschnittswerten ist nur gering; er kann aber entscheidend sein, wenn es in einer Wahl knapp wird, oder er kann eine Spirale der Streitsucht in Gang setzen, in der jede Seite stets ein wenig mehr zum Krieg neigt als die andere. Historisch betrachtet, übernahmen Frauen in einem Umfang, der in keinem Verhältnis zu ihrem Einfluss in anderen politischen Institutionen der jeweiligen Zeit stand, die Führungsrolle in pazifistischen und humanitären Bewegungen, und die letzten Jahrzehnte, in denen Frauen und ihre Interessen in allen Lebensbereichen einen beispiellosen Einfluss gewannen, sind auch die Jahrzehnte, in denen Kriege zwischen Industriestaaten zunehmend undenkbar geworden sind (Kapitel 5 und 7 ). Die Beschreibung von James Sheehan über den Wandel der Aufgaben europäischer Staaten in der Nachkriegszeit – von militärischen Fähigkeiten zur Versorgung von der Wiege bis zur Bahre – ist fast eine Karikatur der traditionellen Geschlechterrollen.
    Über Yamaguchis Rezept kann man im Einzelnen natürlich streiten. George Shultz erinnert sich daran, wie Margaret Thatcher reagierte, als er ihr erzählte, Ronald Reagan habe Michail Gorbatschow in seiner Gegenwart vorgeschlagen, die Atomwaffen abzuschaffen: Sie schlug mit ihrer Handtasche nach ihm. [1946] Allerdings, so hätte Yamaguchi vielleicht erwidert, waren Thatchers eigene Kinder auch bereits erwachsen, und ohnehin orientierte sie sich mit ihren Ansichten an einer Welt, die von Männern regiert wurde. Da Frauen in

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