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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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feststellte, existierte sein Untersuchungsgegenstand, die tödlichen ethnischen Unruhen, in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts im Westen nicht mehr. [1048] Die sogenannten Rassenunruhen, die Mitte der 1960 er Jahre in Los Angeles, Newark, Detroit und anderen nordamerikanischen Großstädten ausbrachen, waren ein völlig anderes Phänomen: Hier waren Afroamerikaner nicht das Ziel, sondern die Aufrührer; die Opferzahlen waren gering (vorwiegend Aufständische selbst, die von der Polizei getötet wurden), und bei den Zielen handelte es sich praktisch ausschließlich um Eigentum, nicht aber um Menschen. [1049] Nach 1950 gab es in den Vereinigten Staaten keine Unruhen mehr, die sich gegen eine einzelne Rasse oder ethnische Gruppe richteten; das Gleiche gilt für andere Regionen der westlichen Welt mit ethnischen Spannungen wie Kanada, Belgien, Korsika, Katalonien oder das Baskenland. [1050]
    Eine gewisse farbigenfeindliche Gewalt brach am Ende der 1950 er und Anfang der 1960 er Jahre aus, sie hatte aber eine andere Form. Die Anschläge selbst werden kaum einmal als »Terrorismus« bezeichnet, aber genau das waren sie: Sie richteten sich gegen Zivilisten, die Opferzahlen waren gering, und die Öffentlichkeitswirkung groß; sie sollten Angst verbreiten und verfolgten ein politisches Ziel: Man wollte verhindern, dass die Rassentrennung in den Südstaaten aufgehoben wurde. Und wie andere terroristische Feldzüge, so besiegelte auch der Terrorismus der Rassentrennung sein eigenes Schicksal, als er die Grenze zur Heimtücke überschritt, so dass das Mitgefühl der Öffentlichkeit nur noch den Opfern galt. Bei höchst öffentlichkeitswirksamen Zwischenfällen traktierte ein hässlicher Mob farbige Kinder, die sich in ausschließlich weißen Schulen einschreiben wollten, mit obszönen Bemerkungen und Morddrohungen. Ein Ereignis hinterließ im kulturellen Gedächtnis einen besonders starken Eindruck: Die sechsjährige Ruby Nell Bridges musste an ihrem ersten Schultag in New Orleans von mehreren Polizisten zur Schule begleitet werden. John Steinbeck, der damals durch die Vereinigten Staaten fuhr, um seinen Reisebericht
Die Reise mit Charley
schreiben zu können, befand sich zu der fraglichen Zeit in der Stadt:
    Vier hünenhafte Marshalls stiegen aus jedem Wagen, und von irgendwo aus dem Innern der Autos förderten sie das kleinste schwarze Mädchen zutage, das man je gesehen hat, in blendendes steifes Weiß gekleidet, mit neuen weißen Schuhen an den Füßchen, die so klein waren, daß sie fast rund erschienen. Das Gesicht und die kleinen Beinchen wirkten sehr schwarz gegen das Weiß.
    Die riesigen Marshalls stellten das Kind auf den Gehweg, und ein kreischendes schrilles Hohngeschrei erhob sich hinter der Absperrung. Das kleine Mädchen sah nicht zu der heulenden Menge hin, aber von der Seite wirkte das Weiß seiner Augen wie bei einem erschrockenen Rehkitz. Die Männer drehten es wie eine Puppe herum, und dann zog die sittsame Prozession den breiten Weg zur Schule hinauf, und das Kind wurde sogar noch winziger, weil die Männer so groß waren. Auf einmal machte es einen komischen Hopser, und ich glaube, ich weiß, was es war. Ich glaube, in seinem ganzen Leben hatte das kleine Mädchen keine zehn Schritte getan, ohne zu hüpfen, aber jetzt inmitten seinem ersten Hüpfer drückte die Last es nieder, und seine kleinen runden Füßchen machten gemessene, zögernde Schritte zwischen den riesigen Wächtern. [1051]
    Unsterblich gemacht wurde der Vorfall auch in einem Gemälde, das 1964 in dem Magazin
Look
unter der Überschrift »The Problem We All Live With« [»Das Problem, mit dem wir alle leben«] veröffentlicht wurde. Geschaffen wurde es von dem Künstler Norman Rockwell, dessen Name gleichbedeutend mit sentimentalen Bildern eines idealisierten Amerika ist. Ein anderer aufrüttelnder Vorfall ereignete sich 1963 : In einer Kirche in Birmingham, in der kurz zuvor Treffen der Bürgerrechtsbewegung stattgefunden hatten, explodierte eine Bombe, und vier farbige Mädchen kamen ums Leben. Im gleichen Jahr wurde der Bürgerrechtler Medgar Evers von Mitgliedern des Ku-Klux-Klan ermordet, und das gleiche Schicksal ereilte im folgenden Jahr James Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner. Zu den Gewalttaten von Mob und Terroristen kam noch staatliche Gewalt hinzu. Die edelmütige Rosa Parks und Martin Luther King wanderten ins Gefängnis, und friedliche Demonstranten wurden mit Wasserwerfern, Hunden, Peitschen und Knüppeln

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