Gewalten
über mir. Ein warmer Wind weht – das Fenster ist
zu – durch meinen Kopf. Ich springe ins Bad. Dort sitze ich auf den Fliesen, an den Rand der Wanne gelehnt. KLAMM fällt die Tür zu, Durchzug, hätte ich mal das Fenster geschlossen.
In fünf Tagen will er Resultate. Aber ich bin zufrieden, meine und K.s Wege sind unergründlich richtig. Wasser tröpfelt in die Wanne. Ich habe Angst vor dem Bett da draußen. Keine Träume anymore. Ich will aufstehen und in den Spiegel überm Waschbecken gucken. Doch das ist nicht einfach. Bleischwer plötzlich meine Beine, meine Arme, meinen ganzen Körper kann ich nur mit Anstrengungen hochwuchten. Mir ist schwindlig, die Luft ist feucht, nein, trocken, ich kann es nicht mehr einschätzen, ich keuche und huste, will zur Tür kriechen, aber die ist plötzlich wie eine Stahlwand vor mir. Ich taumele zum Spiegel. Der beschlägt kaum, wenn ich gegen ihn atme. Keine Luft. Sie stehlen mir die Luft. Mein Bild verschwimmt, was für ein Bart! Eine Frau hat mal zu mir gesagt, lass dir einen Schnurrbart wachsen, und ich bleibe bei dir! Wahnsinnig war die. Ich bin glatt rasiert, und meine Hände ziehen Schlieren über das Glas des Spiegels. Das bin ich, und bin’s doch nicht. Wo ist das Zentrum? Mir wird die Luft knapp, wer macht so etwas, dass er einem die Luft zum Atmen klaut? Ich hab doch davon gelesen ... Wir liegen am Boden der Zelle, am Boden dieses Raums, der von der Luftzufuhr abgeschnitten wurde, und denken an unsere Großmütter. Der Sauerstoffmangel führt uns durch die Zeit. Und Räume ändern sich, und wir wissen nicht, ist das
hier
oder woanders.
Ein Mann in Uniform sitzt an einem Tisch. Schulterklappensterne. Er raucht. An der Decke Neonröhren, die ihn
beleuchten. Vor ihm eine Mappe mit Unterlagen, Papiere, eine Schachtel Zigaretten, auf der ein silbernes Feuerzeug liegt, ein Aschenbecher. Er blättert in der Mappe, dann lehnt er sich zurück.
»Ich hoffe, mein Deutsch ist noch gut.« Er spricht mit amerikanischem Akzent. »Ich spreche nicht oft Deutsch.«
Er beugt sich vor, drückt seine Zigarette in dem Aschenbecher aus.
»Ich habe früher ein paar Jahre in Deutschland gewohnt. In Frankfurt. Ich habe in Frankfurt studiert.« Aus dem Aschenbecher vor ihm steigt dünn Rauch auf, der Mann greift noch einmal nach der Zigarettenkippe, drückt sie mit dem Filter ein paar Mal in den Aschenbecher. »Ich hatte eine schöne Zeit in Frankfurt. Wir waren eine kleine amerikanische Community.« Er lacht, lehnt sich zurück, verschränkt die Arme hinterm Kopf.
»Wir haben zusammengewohnt, in der Nähe vom Bahnhof, immer viel los.« Er lächelt. Streicht sich durch die Haare.
»Schöne Frauen, sie waren ganz verrückt nach uns Amerikanern, nicht nur an der Universität. Jede Woche wir machen Party, big Party, viele Leute. Großes Apartment. Einmal musste ein Freund ... wie sagt man ... kotzen, er kotzt aus dem Fenster, und Leute stehen unten auf der Straße, my god, wir lachen, und die Leute auf der Straße schreien, ›ihr Schweine!‹, und wir bringen ihn ins Bad und machen Fenster zu, aber die geben keine Ruhe, kommen ins Haus rein, und ein Freund muss sie wegjagen, big black guy, er hat geboxt in der Mannschaft der Universität, er sah aus wie Mike Tyson, die hatten alle Kotze auf der Jacke und ein paar sogar in den Haaren, my god, und wir haben an der Tür gestanden und gelacht, und die wollten
trouble machen, und Mike Tyson hat gesagt: ›You better go home‹.«
Der Mann lacht, holt tief Luft, nimmt sich eine neue Zigarette und zündet sie an. Er legt den Kopf zurück und bläst den Rauch an die Decke. Er raucht eine Weile schweigend, blättert dann in der Mappe und den Papieren. Während er blättert, fängt er wieder an zu reden:
»Kneipe. Ein schönes deutsches Wort. Viele billige Kneipen am Bahnhof in Frankfurt. In einer waren wir oft, der Chief war ein Riese, bigger than Mike Tyson, der hatte eine Träne, eine blaue Träne, there«, er tippt unter sein Auge, »ein Tattoo, ich habe so etwas noch nie gesehen, er hatte überall Tattoos, crazy guy. Er sagt, er war ein sailor, aber ich denke, er war in prison. Da haben wir manchmal die ganze Nacht gesessen, in der Kneipe von dem sailor. Und früh sind wir zu McDonald’s gegangen, breakfast, und danach Universität, mit der Straßenbahn in die Uni«, er spricht es wie
Juni
aus, »verrückte Zeit damals in Frankfurt.« Er blickt auf, schiebt die Mappe und die Papiere zur Seite, hält seine Zigarette zwischen Daumen und
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