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Gewalten

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Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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irgendwann. Im Licht der Scheinwerfer. Zuerst weit entfernt in dem Labyrinth der Gänge. Ein Soldat. Er bleibt direkt vor K.s Käfig stehen. Sie kommunizieren ... Notizen, Bleistift, wer? Worüber? Über K.? Über ihn? Über das Warum? Dann liegt K. auf der Pritsche, Soldat weg, Tiere kommen, Spinnen, Leguane, Kolibris. Sitzen im Käfig und sogar auf seinem Körper. K. kommuniziert, einseitig. Worüber? Später: Bewegung in den leeren Gängen. Einsatzteam kommt. K. setzt sich in die Mitte des Käfigs. Tiere weg. Schnitt. Beim Verhör. Selber Verhörer wie in Anfangsszene. Langes Verhör. Anders als zu Anfang. K. an Boden gekettet, hockt. Verhör irgendwann zu Ende. Wird weggebracht. Verhörer sitzt lange alleine am Tisch. »Wir müssen das tun, um uns zu schützen.« Schnitt. Eine Tür wird geöffnet. K. wird in den Raum gestoßen. Kapuze wird abgenommen, Tür geschlossen. Ein alter Mann sitzt in der Mitte des Raums im Schneidersitz. Vor ihm eine große Pappschachtel mit Süßigkeiten. »Salah«, sagt K.
    »Salam alaikum«, sagt Salah, der ihn nicht zu kennen scheint.
    Salah, weißt du denn nicht, Guantánamo.
    Was ist Guantánamo?
    Ich muss meine Wohnung verlassen. Sie grinsen zu sehr von den Wänden. Es gibt ein kleines Hotel draußen am Flughafen, dort habe ich schon ein paar Mal geschrieben. Ein Echo in der Leitung, dass ich kaum jemanden verstehe, der anruft. Handy, Festnetz, alles aus jetzt. Es gibt dort Getränkeautomaten, riesige Teile, Bier und Sekt stecken in großen Rädern, die die Flaschen hinter einer Glasscheibe ratternd zum Ausgabeschacht transportieren. Ist auch sonst ein Automatenhotel. Einchecken mit Kreditkarte an einer Automatenrezeption, keine Angestellten im Hotel, alles anonym, denkt man, aber dein Name ist in der Leitung, wenn du deine Bankkarten nutzt. Ich überarbeite immer wieder die Szenenfolge. Füge neue Szenen hinzu, kombiniere sie mit anderen, um einen Sog zu erzeugen, der die Handlung wie von selbst trägt, K. durch Zeiten und Räume reißt, ein Alptraum in Bildern, »my film is not about Guantánamo, my film is Guantánamo«, aber es ist nicht mein Film, es sind meine Ideen, die er gekauft hat. Er hat mir ein paar E-Mails geschrieben. In zehn Tagen will er Resultate. Ich glaube, ich habe Lungenkrebs. Ich nehme all meinen Tabak und meine Zigarren und meine Zigaretten und schmeiße sie ins Klo. An der Wand überm Tisch habe ich Fotos und große Blätter mit Notizen befestigt. Ich hatte keinen Klebstreifen mehr, das merkte ich erst, als das Taxi schon vorm Haus wartete. Ich habe einen Hammer und Nägel in meine Reisetasche gepackt. K. spricht mit Salah. Ich schreibe mittlerweile am Laptop, die Schreibmaschine hat zu viel Lärm gemacht. K. stopft sich Salahs Süßigkeiten wie ein Wahnsinniger in den Mund, frisst die ganze Schachtel leer. Wo ist er? Pakistan? Salah erzählt von Amerika, wo er mal gelebt hat. Jimmy Carter. Boston Tea Parade. Viele Freunde. K. kotzt die Süßigkeiten
aus, hat Fieber, liegt apathisch in der Ecke. Salah pflegt ihn. Sie sind die ganze Zeit allein in dem Raum. Sie beten gemeinsam. K. wird weggebracht. Er wird in einen Jeep geschleift. »Osama, Osama«, rufen Kinder auf der Straße. Der Bart. Kapuze. K. wird in eine riesige Villa eskortiert. Hand- und Fußfesseln. In einem opulent eingerichteten Raum, Holzmöbel, Teppiche, wird er verhört. Der Mann trägt eine Sonnenbrille und ein Hawaiihemd. Die Karikatur eines Geheimdienstlers. K. hat Schiffbauer gelernt. Irgendwann, in Kandahar, wo Schnee liegt und der Atem dampft, zeichnet er ein Schiff in den Schnee.
Let’s go to
    Dort hängt er fünf Tage an einem Balken. Durchs Fenster der Villa sieht er Palmen.
    Nach dem Verhör, er wird über seine Schulzeit ausgefragt, bringen sie ihn wieder zum Jeep. Kapuze. »Osama, Osama!« Kinder. Der Jeep fährt, hält irgendwann. K. wird geschleift, sieht Füße, Stiefel, Sand. Rockmusik. Kapuze weg. Er liegt in einem Käfig. Abend. Ein paar Meter entfernt in einem anderen Käfig sitzt Salah im Schneidersitz. Salam alaikum.
    WUMM - KLAMM . Ich reiße das Fenster auf. Warmer Wind draußen. Gestern war es noch kalt, knapp unter Null. Seltsame Winde sind das in der Leipziger Tieflandbucht. Ein paar hundert Meter entfernt das Flughafengebäude. Es ist Nacht, und es liegt dort wie ein riesiges, leuchtendes UFO . Was ist das Zentrum? Das Herz der Finsternis, der Wahnsinn, der amerikanische Albtraum? K.? Das entfernte Dröhnen der startenden und landenden Maschinen. Ich bin müde.

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