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Gewalten

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Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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in meinem Kopf, kommen von allein, wenn ich auf meinem Bett liege und warte, bis die Portale sich öffnen.)
    Ich will aus der Stadt verschwinden, sagt LB , auf die Malediven. (Später sagt er
Mauritius
, wir suchen auf meinem alten Globus, pusten den Staub weg, finden aber beides nicht.) Zuerst nach Kiel. Habe dort Arbeit, dann mit der Firma auf die Malediven.
    Machst du richtig, sage ich, verschwinde von hier, mach was ganz Neues, da kann’s nur besser sein für dich ... aber deine laufenden Verfahren?
    Die Malediven (Mauritius?) haben keinen Auslieferungsvertrag mit Deutschland. Noch darf LB das Land verlassen. Er streichelt meinen Hund, der sich vor ihm auf den Teppich gelegt hat.
    Als er noch D. gehört hat, habe ich ihn mal ausgeführt,
weißt du noch, sagt LB , das muss zwölf Jahre her sein, da hat er mich kilometerweit durch die Straßen bis in den Park geschleift. Jetzt kann er kaum noch laufen.
    Wann willst du fahren?
    Ich fliege, sagt er, heute Abend schon.
    Wir reden über einen Taxifahrer, einen Freund der Familie, der seinen Bruder immer ins Krankenhaus gebracht hat, der fährt mich auch oft, meistens auf den Bahnhof.
    Wie hieß diese Taxifahrerin noch gleich, frage ich, die BB immer angerufen hat, wenn wir in irgendwelchen Kneipen in anderen Teilen der Stadt waren? (Von wegen andere Teile der Stadt! Little Boy und Big Boy kamen kaum zwei Kilometer raus aus ihrem Viertel, aber manchmal will man nachts keinen Meter mehr laufen.)
    XX , die war lesbisch.
    Nein, sage ich, wirklich?
    Die hat mir trotzdem mal schön einen gekeult, hat auch schön genuckelt. Da hab ich ihre Karre rumgefahren, plötzlich wollt sie wieder fahren, nichts gibt’s, sag ich, bitte, sagt sie, du hast zu viel intus. Hier!, sag ich, nur wenn du mal schön rangehst. Geht die wirklich ran.
    Ach was, sage ich, hast du ja noch nie erzählt.
    Ein Gentleman ... verstehste. Die ist tot jetzt. Schon ’ne Weile.
    Nein, sage ich, wirklich? (Wollte sagen: Ist ihr dein Schwanz nicht bekommen? So reden wir, aber jetzt kommt’s mir pietätlos vor, ist auch richtig scheiße, dass man so denkt überhaupt, meine Frau ist zu Besuch, da kommt sie gerade, ist im Bad gewesen, und ich stelle sie LB vor.)
    Ihr Ex hat sie abgestochen. Da sitzt sie zu Hause auf der Couch, hat’s nur noch mit Frauen, da kommt der Typ
plötzlich rein, hat ja noch den Schlüssel, sticht sofort zu. Paar Jahre her jetzt.
    Ich ziehe mir ein frisches Hemd an. Sei nicht böse, sage ich, wir müssen bald los.
    Hättest dich mal melden können, sagt er, ist fast zwei Monate her seit der Beerdigung.
    Ja, sage ich, du weißt doch, bin viel unterwegs. Schreibe grade an ’ner neuen Sache ...
    Er nickt, steht auf, setzt sich wieder. Ich werd Vater, sagt er plötzlich, hab die Krankenschwester von Big Boy angebumst.
    Ach was, hast du ja noch nie erzählt.
    Sechster Monat. Und ausgerechnet die Krankenschwester von Big Boy.
    Wie lange weißt du’s denn schon?
    Nicht lange.
    Vielleicht ist’s ganz gut, dass du auf die Malediven verschwindest. ...
    Vielleicht.
    Er lacht. Ist schon auf dem Weg zur Tür. Zieht zwei Grüne aus der Hosentasche. »Hab einen schönen Bruch gemacht vor paar Tagen. Fernseher, Computer, Kohle, vom Allerfeinsten!« Wir umarmen uns, und dann steht er vor seinem Fahrrad. Wieder fällt mir diese silberne Hupe am Lenker auf. Über den Sattel ist eine Plastiktüte gestülpt, damit er nicht nass wird, wenn es regnet. Er hat seinen Führerschein verloren vor ein paar Monaten, volltrunken, einen der Bullen hat er noch voll erwischt, mit der Faust. Ich mag LB , spüre das plötzlich sehr warm in mir, als wenn wir gerade Schnaps getrunken hätten, wie er da so vor dem Fahrrad steht und von einem Bein aufs andere tritt. Er ist, wie er ist, und ich bin froh, dass ich ihn kenne und sein
Freund bin. Mich stören seine Brüche nicht, kann das sogar verstehen. Vielleicht würde man dasselbe machen, wenn man schon immer tief in der Scheiße gesteckt hat. (Wer ist
man
?)
    Würd’ mich freuen, wenn du mir ab und an mal ’ne SMS schreibst, was hier so los ist.
    Klar, sage ich, mach ich.
    Ich hab doch das Handy von BB , das ist jetzt meins, musst also an ihn schreiben.
    Hm, ja. Er hat mir das Handy gezeigt, als ich am Abend vor der Beerdigung bei ihm war. Wir haben zusammen BBs letzte Textnachrichten gelesen. Die meisten waren an seine Ex-Freundin.
Ich hab wohl nicht mehr viel Zeit, aber vielleicht kann ich mir noch ein paar Träume erfüllen
. Die Briefe eines Toten. Muss ich oft

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