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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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gespielt, Mitfavorit, reelle Chance, ganz reelle Chance, und dann liegst du,
Orange Sky
, wirklich nur noch auf 2 , kurz vorm Ziel, was für ein Glück!, aber mein Tipp,
meine sicheren 500 , plötzlich weit weg, ganz weit weg, wie ist das möglich, er galoppierte doch eben noch gut auf der Innenseite der Bahn, und du, mein Telefonjoker, den ich nicht gezogen habe, kommst recht sicher auf 2 ins Ziel, die Platzquote noch hoch genug, um alles rauszureißen für mich (Meine Frau behauptet später, sie hätte es mir überlassen, Sieg
oder
Platz zu tippen. Lügen.), unglaubliche 56 für 10 , wenn ich da 50 oder 100 oder 200 , der Himmel wäre wieder rosarot gewesen ... (Zweimal hat UKG seine Mutter angerufen, sag mir eine Zahl zwischen 1 und X, je nachdem, wie viel Pferde liefen, zweimal hat es geklappt, aber wir müssen an Berechnung und Kalkül glauben und nicht an so etwas Flatterhaftes wie das Glück!)
    Die Beine sind wie Gummi jedes Mal, wenn ich pleite von der Bahn taumele, das Donnern der Hufe nicht nur in den Ohren, sondern über meinen ganzen Körper hinweg, Halle, Dresden, Leipzig, Berlin ... aber verdammt nochmal, wie oft habe ich Bündel mit zerknitterten Scheinen in meinen Taschen gehabt, wie oft haben die Planungen, die Berechnungen und das Glück gestimmt, vor kurzem erst hier in Halle/Saale glatte 1000 gewonnen, aber davor eine ganze Weile
Nichts
und
Minus
. Und vor wenigen Wochen war ich eine Bewegung meines Zeigefingers von einem weiteren Tausender entfernt. In Bad Doberan fand ein Rennen statt, ich hatte mich bei einem Wettanbieter im Internet angemeldet, eigentlich für ein Rennen in Düsseldorf am selben Tag wie das Rennen in Bad Doberan bei Rostock, die Ostsee in Riech- und Sichtweite, und ich laufe schwitzend durch mein Viertel, der Automat ist ein paar Kilometer entfernt, und die Zeit wird knapp. 15 Uhr 30 ,
Mharadono
startet um 16 Uhr 10 in Düsseldorf, wieso dieser Geruch nach Algen und Fisch?, der geht nicht weg, so schnell ich auch laufe,
ein heißer Tag, vielleicht verdunstet das Wasser der großen Seen, der gefluteten Tagebaue am Rand der Stadt, in der Leipziger Tieflandbucht wehen seltsame Winde. (Viel später stelle ich fest, dass ich ein paar von meinen Fischölkapseln in der Brusttasche meines Hemdes mitgewaschen habe, und das Meer also immer bei mir, Bad Doberan ...) Paysafe-Karten nur aus diesem einen Automaten, sagt das Internet, mit dem Zahlencode auf den Karten kann ich mein Onlinewettkonto aufladen, ich habe keine Kreditkarte, und das ist die einzige Möglichkeit, auf
Mharadono
zu setzen. Und ich muss auf ihn setzen, weil er in Leipzig lebt und trainiert, der beste Galopper Ostdeutschlands, zwei Außenseitersiege in hochdotierten Grupperennen in den letzten beiden Jahren, an einem guten Tag kann er alle überraschen, und heute ist ein hervorragender Tag, das spüre ich, es ist Zeit für einen großen Gewinn. Und ich muss etwas gutmachen mit diesem Pferd, denn 2007 bekam ich einen Tipp,
Mharadono
in Hannover, über 400 für 10 die Siegquote, 50 wollt ich setzen im Wettbüro, aber eine Frau hat es mir ausgeredet damals (eine Frau, meine Frau, keine Frau), wir sind ins Kino gegangen statt ins Wettbüro, wieso hab ich drauf gehört?, als ob ich Haus und Hof und Erspartes verspielen wollte, lächerliche 50 Euro, siehst du, so moderat spiele ich und habe alles im Griff!, und über 2000 wären das gewesen, daran muss ich immer wieder denken, während ich, mit den Fischen und den Algen, die großen Seen, verstehst du?, durchs Viertel eile, zu diesem Automaten, von dem ich nicht weiß, ob er überhaupt existiert.
    Und all das immer noch in meinem Kopf, während ich in Halle/Saale auf dem Rennbahnscheißhaus sitze und darüber nachdenke, ob es ein Zeichen ist, dass ich aus der
Nachbarkabine ganz deutlich, obwohl geflüstert, den Namen
Rosegarden
vernehme, ich kenne das Pferd, derselbe Trainer wie bei
Mharadono
, außer Form seit Wochen und Monaten, aber hier auf der Bahn einmal Zweiter, schon über ein Jahr her, aber ein Triumph damals, die Phalanx der großen Rennquartiere durchbrechend, und fast noch gewonnen, und heute? Kann sie (Stute) sich erinnern? Hat der Trainer wieder einen Coup geplant? Ist das der Tag für eine neue große Leistung? Ist der Boden weich genug? Verdammt nochmal, was flüstern uns die Winde?
    Und ich stehe vor diesem Automaten, der mir nie vorher aufgefallen ist, schiebe schwitzend Schein um Schein in den Schlitz, Touchscreen, ich tippe auf 50 ; einmal, zweimal,

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