Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Form von Verurteilung.
Diese Übung hält, was sie verspricht: Sobald wir uns mit dem Vergleichen beschäftigen, fangen wir an, uns mies zu fühlen. Wenn wir dann so deprimiert wie nur möglich sind, blättern wir eine Seite weiter und entdecken, daß die erste Übung lediglich zum Aufwärmen gedacht war. Da körperliche Schönheit relativ oberflächlich ist, gibt uns Greenberg jetzt die Gelegenheit, uns auf einer Ebene zu messen, die zählt: Leistung. Er nimmt das Telefonbuch zu Hilfe, um seinen Lesern einige beliebig ausgesuchte Vergleichspersonen vorzustellen. Der erste, von dem er behauptet, ihn aus dem Telefonbuch zu haben, ist Wolfgang Amadeus Mozart. Greenberg führt alle Sprachen auf, die Mozart beherrschte, und die wichtigsten Stücke, die er als Jugendlicher komponiert hat. Die Übung instruiert dann die Leser, sich die eigenen Errungenschaften zum gegenwärtigen Stand ihres Lebens ins Gedächtnis zu rufen, sie mit dem zu vergleichen, was Mozart bereits mit zwölf Jahren zustande gebracht hat, und sich dann in die Unterschiede zu vertiefen.
Selbst die Leser, die nie mehr aus der hausgemachten Misere der Übung herauskommen, können erkennen, wie machtvoll diese Art des Denkens die Einfühlsamkeit mit sich selbst und mit anderen blockiert.
Verantwortung leugnen
Eine andere Art lebensentfremdender Kommunikation ist das Leugnen von Verantwortung. Lebensentfremdende Kommunikation vernebelt unsere Wahrnehmung darüber, daß jeder von uns verantwortlich für seine eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen ist. Der Gebrauch des weitverbreiteten Wortes „müssen“, wie z.B. in: „Es gibt Dinge, die man tun muß, ob es einem gefällt oder nicht“, macht deutlich, wie die persönliche Verantwortung für unsere Handlungen mit solchen Sprachwendungen verschleiert wird.
Unsere Sprache verschleiert die Wahrnehmung persönlicher Verantwortung.
In ihrem Buch Eichmann in Jerusalem, das den Kriegsverbrecherprozeß gegen den Nazi-Funktionär Adolf Eichmann dokumentiert, zitiert Hanna Arendt Eichmann mit der Aussage, daß er und seine Offizierskollegen einen eigenen Namen für die Verantwortlichkeit leugnende Sprache hatten, derer sie sich bedienten. Sie nannten sie „Amtssprache“. Wenn sie z.B. gefragt wurden, warum sie etwas Bestimmtes getan hatten, konnten sie sagen: „Das mußte ich tun.“ Wenn nachgefragt wurde, warum sie „mußten“, lautete die Antwort: „Befehl von oben.“ „Firmenpolitik.“ „So waren die Gesetze.“
Wir leugnen die Verantwortung für unsere Handlungen, wenn wir ihre Ursache folgenden Gründen zuschreiben:
Vage, unpersönliche Mächte: „Ich habe mein Zimmer saubergemacht, weil ich es tun mußte.“
Unser Zustand, eine Diagnose, die persönliche oder psychologische Geschichte: „Ich trinke, weil ich Alkoholiker bin.“
Die Handlungen anderer: „Ich habe mein Kind geschlagen, weil es auf die Straße gelaufen ist.“
Das Diktat einer Autorität: „Ich habe den Klienten angelogen, weil der Chef es mir befohlen hat.“
Gruppendruck: „Ich habe mit dem Rauchen angefangen, weil alle meine Freunde rauchen.“
Institutionelle Politik, Regeln und Vorschriften: „Für diesen Verstoß muß ich dich von der Schule verweisen – so sind die Vorschriften.“
Geschlechterrollen, soziale Rollen oder Altersrollen: „Ich hasse es, zur Arbeit zu gehen, aber ich muß es tun, ich bin Ehemann und Vater.“
Unkontrollierbare Impulse: „Ich wurde von meinem Verlangen überwältigt, den Schokoriegel zu essen.“
In einer Diskussion zwischen Eltern und Lehrern über die Gefahren einer Sprache, die keine Wahlmöglichkeiten zuläßt, widersprach eine Frau einmal ärgerlich: „Aber es gibt Dinge, die man tun muß, ob es einem gefällt oder nicht! Und ich sehe nichts Falsches darin, meinen Kindern zu sagen, daß es auch für sie Dinge gibt, die sie tun müssen.“ Auf ein Beispiel von etwas angesprochen, was sie „tun müsse“, erwiderte sie scharf: „Das ist einfach! Wenn ich nachher hier weggehe, muß ich nach Hause und kochen. Ich hasse Kochen! Ich hasse es leidenschaftlich, aber ich habe es jeden Tag die letzten zwanzig Jahre getan, auch wenn mir hundeelend war – weil es zu den Dingen gehört, die man einfach tun muß.“ Ich sagte ihr, daß es mich traurig machte zu hören, daß sie soviel ihrer Lebenszeit damit verbringt, etwas zu tun, das sie haßt, weil sie sich dazu gezwungen fühlt, und daß ich hoffte, sie würde durch das Lernen der GFK-Sprache Möglichkeiten finden, die sie
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