Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
wir einem anderen Menschen klar und ehrlich mitteilen wollen, wie es uns geht. Wenn wir die Beobachtung mit einer Bewertung verknüpfen, vermindern wir die Wahrscheinlichkeit, daß andere das hören, was wir sagen wollen. Sie neigen dann eher dazu, Kritik zu hören, und wehren so ab, was wir eigentlich sagen wollen.
Die GFK tritt nicht dafür ein, daß wir vollkommen objektiv bleiben und uns jeglicher Bewertung enthalten. Sie verlangt nur, daß wir zwischen unseren Beobachtungen und unseren Bewertungen immer sauber trennen. GFK ist eine prozeßorientierte Sprache, die statische Verallgemeinerungen eher verhindert; statt dessen werden Bewertungen nur auf der Grundlage von Beobachtungen vorgenommen, konkret bezogen auf die Zeit und den Handlungszusammenhang. Der Sprachforscher Wendell Johnson hat darauf hingewiesen, daß wir uns selbst viele Probleme schaffen, indem wir eine statische Sprache verwenden, um eine Wirklichkeit, die im ständigen Wandel begriffen ist, auszudrücken oder einzufangen: „Unsere Sprache ist ein unvollkommenes Instrument, das von unwissenden Menschen in grauer Vorzeit geschaffen wurde. Es ist eine animistische Sprache, die dazu einlädt, über Stabilität und Konstanten zu sprechen, über Ähnlichkeiten, Normalitäten und Arten, über magische Transformationen, schnelle Heilungen, einfache Probleme und endgültige Lösungen. Die Welt jedoch, die wir mit dieser Sprache beschreiben wollen, hat sich inzwischen sehr verändert. Sie ist jetzt bestimmt von Prozessen, Veränderungen, Unterschiedlichkeiten, Dimensionen, Funktionen, Beziehungen, Wachstum, Interaktionen, Entwicklung, Lernen, Herausforderungen und Komplexität. Und ein Teil unseres Problems ist die Tatsache, daß unsere sich ständig wandelnde Welt und unsere relativ statische Sprache ein ungleiches Paar sind.“
Eine meiner Kolleginnen, Ruth Bebermeyer, stellt die statische und die prozeßorientierte Sprache in einem Song gegenüber, der die Unterschiede zwischen Bewertung und Beobachtung deutlich macht.
Ich habe noch nie einen faulen Mann gesehen;
ich habe schon mal einen Mann gesehen,
der niemals rannte, während ich ihm zusah,
und ich habe schon mal einen Mann gesehen,
der zwischen Mittag- und Abendessen manchmal schlief,
und der vielleicht mal zu Hause blieb an einem Regentag,
aber er war kein fauler Mann.
Bevor du sagst, ich wär’ verrückt,
denk ’mal nach, war er ein fauler Mann, oder hat er nur Dinge getan, die wir als „faul“ abstempeln?
Verknüpfen wir Beobachtung mit Bewertung, neigen die Leute eher dazu, Kritik zu hören.
Ich habe noch nie ein dummes Kind gesehen;
ich habe schon mal ein Kind gesehen, das hin und wieder
etwas gemacht hat, was ich nicht verstand,
oder etwas anders gemacht hat, als ich geplant hatte;
ich habe schon mal ein Kind gesehen,
das nicht dieselben Orte kannte wie ich,
aber das war kein dummes Kind.
Bevor du sagst, es wäre dumm,
denk’ mal nach, war es ein dummes Kind, oder hat es einfach nur andere Sachen gekannt als du?
Ich habe mich so intensiv wie nur möglich umgesehen, habe aber nirgendwo einen Koch entdecken können; ich habe jemanden gesehen, der Zutaten kombiniert hat, die wir dann gegessen haben.
Jemanden, der den Herd angemacht und aufgepaßt hat, daß das Fleisch auf dem Feuer gar wird. Das alles habe ich gesehen, aber keinen Koch. Sag’ mir, wenn du hinschaust,
ist das ein Koch, den du siehst, oder siehst du jemanden Dinge tun, die wir kochen nennen?
Was die einen faul nennen, nennen die anderen müde oder gelassen,
was die einen dumm nennen,
ist für die anderen einfach ein anderes Wissen.
Ich bin also zu dem Schluß gekommen,
daß es uns allen viel Wirrwarr erspart,
wenn wir das, was wir sehen,
nicht mit unserer Meinung darüber vermischen.
Damit es dir nicht passiert, möchte ich noch sagen: Ich weiß, was ich hier sage, ist nur meine Meinung.
Auch wenn die Wirkung von Negativetiketten wie „faul“ oder „dumm“ vielleicht eher auf der Hand liegt, schränkt auch eine positive oder scheinbar neutrale Schublade, wie z.B. „Koch“, unsere Wahrnehmung von der Gesamtheit eines anderen Menschen ein.
Die höchste Form menschlicher Intelligenz
Der indische Philosoph J. Krishnamurti stellte einmal fest, daß es die höchste Form menschlicher Intelligenz ist, zu beobachten, ohne zu bewerten. Als ich diese Aussage zum ersten Mal las, schoß mir der Gedanke „So ein Blödsinn!“ durch den Kopf, bevor mir klar wurde, daß ich damit
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