Gewitter der Liebe
An der Veranda war sein Pferd angebunden, die Satteltaschen bereits gepackt für den Ritt ins Abenteuer. Eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss, dann ritt Ross davon, geradewegs zum Hafen, an dem er sich mit den anderen Männern verabredet hatte.
Julia blickte ihm lange nach, bevor sie ins Haus zurückging, um nach dem Baby zu sehen.
Die Arbeit in Nathans Büro war neu und anstrengend, aber sie bereitete Julia große Freude. Joseph schlief neben dem Schreibtisch in jenem Körbchen, in dem er bereits die ersten Stunden seines jungen Lebens verbracht hatte.
Gelegentlich kam Nathan auf einen Plausch herein; meistens redeten sie über Waren, deren Preise und Lieferungen. Aber manchmal nahmen die Gespräche auch eine private Wende an, wenn sich Nathan erkundigte, ob Julia sich mit der Arbeit überfordert fühle oder ob sich Ross bereits gemeldet habe.
Aber eines tat Nathan immer, wenn Julia da war: Er beugte sich über das Babykörbchen, um sich zu vergewissern, dass es dem kleinen Joseph gut ging.
»Er sieht dir immer ähnlicher«, sagte er einmal mit zärtlichem Unterton. »Wenn er mich ansieht, ist es mir, als sähest du mich an.«
Julia hielt beim Sortieren von bezahlten Rechnungen inne. »Schade, dass er keine Ähnlichkeit mit seinem Vater hat.«
Nathan trat mit ernster Miene an den Schreibtisch. »Der Junge sollte bald getauft werden, Julia.«
Sie wand sich, denn dieses Thema war ihr unangenehm. »Dafür müssen Ross und ich erst heiraten. Er hat gesagt, diesmal …«
»Verdammt noch mal! Er wird dir immer dasselbe erzählen, bis du alt und grau bist!«
»Aber was soll ich denn dagegen tun?«, fragte sie mit hängenden Schultern. »Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, bis er einen Goldschatz findet.«
»Und wenn er keinen findet? Ich denke, du solltest ihn vor eine Entscheidung stellen, wenn er zurückkommt.«
Sie sah ihn fragend an.
»Sag ihm, du verlässt ihn, wenn er dich nicht endlich heiratet. Dann siehst du ja, wie er reagiert.«
»Das würde ich nicht übers Herz bringen«, brachte sie mühselig hervor. »Ich weiß, dass er mich genauso stark liebt wie ich ihn.«
»Ja, leider«, murmelte Nathan und verließ das Büro. Julia war nicht zu helfen; sie klammerte sich an die Hoffnung, mit Ross vor den Traualtar zu treten und ein harmonisches Leben zu führen. Aber Nathan wusste inzwischen, dass Ross niemals daran gelegen sein würde, ein harmonisches Eheleben zu führen – Julia musste sich daran gewöhnen, nur ein Teil von Ross’ unstetem Leben zu bleiben.
Nachdenklich beugte sich Julia wieder über ihre Arbeit. Nathan wusste nicht, was Liebe war, sonst würde er nicht ständig auf Ross herumhacken, sagte sie sich. Und als dann Joseph wach wurde und quengelte, rückte sie ihre bedrückten Gedanken vorerst in den Hintergrund.
An Ross’ Liebe zweifelte Julia keinen Augenblick, doch sie war enttäuscht von Nathan. Erst fiel ihr Lilly in den Rücken, dann Nathan. Was er tatsächlich für sie empfand, konnte sie nicht ahnen, aber sie träumte davon, dass Ross bald mit strahlender Miene vor sie trat und sie auf Knien bat, seine Frau zu werden. Dann würden alle staunen und sich zerknirscht eingestehen, dass sie sich in Ross getäuscht hatten.
Doch zunächst war er weit fort, und Julia hatte nicht die geringste Ahnung, wann er zurückkommen würde. Es wurde wieder Frühling in Kalifornien; im Landesinneren blühten die Orangen- und Pfirsichbäume, an der Küste hatten die Leute wieder einen klaren Blick auf das Meer.
Man hatte mit dem Wiederaufbau des Hotels begonnen, und diesmal würde es aus Backsteinen bestehen. Immer öfter griffen die Bauherren tiefer in die Tasche, denn ein Ende der Brandstiftungen war nicht abzusehen. Inzwischen hatten auch einige Menschen dadurch ihr Leben verloren – sei es, weil sie nicht schnell genug ihre brennenden Häuser verlassen hatten, oder bei den Löscharbeiten. Einen Monat nach Josephs Geburt hatte ein weiteres Feuer etliche Gebäude zerstört; eines davon war ein Backsteingebäude, dessen Mauern dem Brand jedoch standgehalten hatten. Daraufhin wurde eine Ziegelbrennerei eröffnet, denn jeder – der es sich finanziell leisten konnte – wollte nun ein solides Haus haben.
In der Gegend, in der Julia wohnte, hatte es noch keine Brände gegeben, denn es war eine weniger wohlhabende, bürgerliche Wohngegend. Die Brandstifter suchten sich stets Objekte aus, bei denen es etwas zu holen gab; ob es sich nun um Waren oder Bargeld handelte.
Julia gestand
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