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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Tage.
    Was ich mir während dieses Gesprächs über so wunderbare Schauspieler
wie Oliver Reed, Oskar Werner, Helmut Qualtinger und Albert Finney (komisch,
mir fällt kein großer deutscher Trinker ein – kein Wort über Harald Juhnke,
bitte!) kaum eingestehen wollte, war diese gewisse Sinnlosigkeit selbigen Gesprächs.
Denn ich würde ganz sicher nicht mehr dazu kommen, die nächste Ausgabe meines
vierteljährlich erscheinenden »Bürgerblatts« herauszubringen. Vielleicht jemand
an meiner Stelle. Aber wer denn? Wäre ich erst einmal mit dem Picasso und dem
Archaeopteryx auf dem Weg zum Planeten X, dann würde das »Bürgerblatt« so sang-
und klanglos verschwinden, wie es still und unauffällig, doch auf höchstem
Niveau einige Jahre existiert hatte.
    Aber hier und jetzt tat ich so, als käme es auf jeden Satz an. Und
das tut es ja auch. Gleich, ob ein Satz dann wirklich gedruckt wird. Gerade der
ungedruckte Satz sollte ein vollkommener Satz sein. Ein vollkommenes Gespenst.
    Ich lud den Autor noch zum Essen ein, danach fuhr ich zurück nach
Botnang. Im Briefkasten lag zwischen dem Üblichen ein handschriftlich
adressiertes Kuvert, das ich herausgriff. Ich öffnete es und fand ein weißes
Papier, welches ich entfaltete. Exakt in die Mitte gesetzt, stand eine
Nachricht, die jemand auf einer dieser alten Schreibmaschinen – jeder Buchstabe
ein Schlag ins Papier – verfaßt hatte:
    Â 
    Rosa
Periode abzuholen.
Diesen Donnerstag, 18 Uhr.
MINIBAR, Singen.
    Ja, das war’s dann auch schon. Ich wußte natürlich, was
mit »rosa Periode« gemeint war, und ich wußte, daß Singen eine leicht verlebt
anmutende badische Stadt nahe der Schweiz und nahe dem Bodensee war. Aber was
sollte »MINIBAR«
bedeuten?
    Ich sah im Internet nach und stellte fest, daß es sich dabei um eine
im Singener Zentrum gelegene Bardiskothek handelte, die offensichtlich viel
darauf hielt, in besonders kleinen Räumen untergebracht zu sein und die Leute
bereits am späten Nachmittag willkommen zu heißen. Ein Lokal für junge
Büromenschen, die weder die Zeit noch die Kraft besaßen, ihr Nachtleben auch
tatsächlich in der Nacht auszuleben.
    Schön und gut, aber wieso wollte man mir ausgerechnet an einem
solchen Ort einen Picasso übergeben?
    Da war niemand, der mir antwortete. Erneut fühlte ich mich fiebrig
und deprimiert. Was kein Wunder war. Ich konnte jetzt ernsthaft beginnen, die
Tage zu zählen, die ich noch auf der Erde verbringen durfte. Die Tage mit
Maritta, dieser Blume meines Lebens. Ja, überhaupt die Tage, da mir Frauen wie
Maritta über den Weg liefen. Eine böse Ahnung sagte mir nämlich, daß ich auf X
niemals würde Fuß fassen können, nicht in dieser Maritta-Richtung.
    Der Flug für zwei Personen nach Portland war bereits gebucht. Ebenso
ein Zimmer im Timberline Lodge, das ich in düsterer Vision und zynischer
Verachtung nur »Overlook-Hotel« nannte. Dennoch hatte ich ein wenig gehofft,
daß die den Picasso betreffende Nachricht ausbleiben und es mir möglich sein
könnte, die Reise zu verschieben. Ja, ein Gedanke war durch meinen Kopf
getingelt – ein Hofnarr auf Reisen –, daß sich diese ganze Geschichte als ein
Irrtum herausstellen und sodann in Luft auflösen würde. Daß es mir gegeben
wäre, wie eine gewisse Frau Leda in Wien, für immer auf diesem Planeten zu
leben. Und ich in der Folge die willkommene Pflicht hätte, den gestohlenen
Archaeopteryx an seinen alten Platz zurückzustellen. Eine Raubumkehrung vorzunehmen.
    Aber so lief das leider nicht.
    Der echte Vogel, das originale »Solnhofener Exemplar«, lag unter
meinem Bett. Wobei es nicht ganz einfach gewesen war, den Stein aus dem Museum
zu entfernen. Ich hatte einen Einbruch vortäuschen müssen, um den tatsächlichen
Diebstahl zu vertuschen. Das heißt, ich hatte das ungeschickte Einsteigen in
den Raum, das ungeschickte Entwenden eines recht bedeutungslosen Fossils in den
Vordergrund geschoben, um in dem daraus entstandenen »Schatten« die
Auswechslung des Solnhofener Exemplars gegen das Nix-Exemplar vorzunehmen. Und
konnte davon ausgehen, daß die zuständigen Leute einfach froh sein würden, daß
hier ein dummer Einbrecher am Werk gewesen war.
    Jetzt also noch den Picasso. Ich würde ihn abholen und zusammen mit
dem Vogel nach Portland befördern lassen. Auch das war

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