Gewitter über Pluto: Roman
gegangen, wo er
mit Frau und Kind und zusammen mit der aus Russisch-Fernost zurückgekehrten
Lilli Steinbeck in das Haus eines Geigen sammelnden Millionärs eingezogen war,
welcher sich gegen seine Geigen und für Lilli Steinbeck entschieden hatte.
Wieso nicht beides, könnte man fragen. Aber Geigen brauchen Platz
und Liebe und verschlingen Geld. Platz, Liebe und Geld, die man eben auch für
Wichtigeres einsetzen kann.
Die Bekehrung eines bis dahin rettungslos an seine Geigen verlorenen
Millionärs faszinierte Stirling. Er begriff, wie sehr er selbst von seiner
Arbeit bestimmt wurde, wie sehr er in Gefahr geriet, aus seiner berufsbedingten
Nähe zu Gewalt und Tod eine tiefgreifende Leidenschaft zu entwickeln. Eine
Leidenschaft, die er natürlich in keiner Weise für die Geigen dieses
Millionärs, in dessen Haus er eingezogen war, verspürte. Weshalb er seinen
Polizeidienst quittierte und es übernahm, im Auftrag des Hausherrn die Lagerung
der aus der Villa verdrängten Musikinstrumente zu überwachen, wie auch deren
Verkauf, Versteigerung oder Schenkung zu organisieren. Eine Tätigkeit, in die
er sich rasch hineinarbeitete und in der ein erstaunliches, aber eben
leidenschaftsloses Geschick bewies. Er wurde zum Geigenspezialisten, ohne sein
Herz an ein paar gebogene Hölzer zu verlieren. Solcherart war er sehr viel freier,
sich seiner Familie, welche Zuwachs erwartete, zu widmen, und zwar mit
Hingebung. Wie ja überhaupt dieses Haus sich zu einem Familientempel
verwandelte, in den das Glück einzog in dem Moment, da die Geigen ausgezogen
waren. Manchmal braucht das Glück einfach Raum.
Lorenz Mohn schien ebenfalls den richtigen Weg beschritten zu haben,
indem er sich gegen die geigenhafte Pornographie und für ein planetarisches
Wollgeschäft entschieden hatte. Leider jedoch besteht selbst noch das Glück aus
Haut und Fleisch und Knochen, also aus Verletzbarkeit: Es kam der 14. Juli
2015.
Ganz klar, daà der Laden in den Sommermonaten weniger gut lief. Aber
gestrickt und genäht und gehäkelt wurde auch in der warmen Jahreszeit.
Jedenfalls verzichtete Lorenz Mohn darauf, sein Geschäft zu schlieÃen und in
Urlaub zu gehen. Er hielt Urlaub für einen Ausdruck innerer Not. Einer Not, die
er nicht verspürte. Wovon auch hätte er Urlaub nehmen sollen? Von Sera, seiner
wunderbaren Frau? Von den farbenfrohen Wollwaren? Seiner nicht minder farbenfrohen
Kundschaft? Von den beschaulichen Abenden im Hinterhof? Vom Gezwitscher der
Vögel? Lorenz konnte darauf verzichten, in irgendeinen fremden Dschungel zu
reisen, um fremde Vögel zu hören, wo er doch hier, in nächster Nähe, mehr
Vogelstimmen vernahm, als ein durchschnittliches Gehör zu unterscheiden
imstande war. Wieso also hätte er selbiges Gehör über die MaÃen strapazieren
sollen? Nur, um Fotos von Borneo zu machen, die man ja, wenn es denn unbedingt
sein muÃte, auch aus dem Internet herunterladen oder sie in einem Bildband
betrachten konnte, wo in der Regel ohnehin die besseren Aufnahmen zu finden
waren?
Lorenz empfand das Bedürfnis nach Ferne und Exotik als ein
Eingeständnis, am Vertrauten und Naheliegenden gescheitert zu sein. Ein solches
Scheitern war ihm jedoch erspart geblieben. Sein Leben stimmte. Nicht, daà er
mit Plutos Liebe ein reicher Mann geworden war.
Allerdings ist reich zu werden sowieso der traurigste aller Wünsche. Auch arm
sein ist nicht schön, aber das wünscht sich ohnehin keiner. Hätte Gott gewollt,
daà es reiche Menschen gibt, dann hätte er sie wohl geschaffen. Er hat ja auch
keine siebenköpfigen Drachen hervorgebracht und keine Champignons, die reden
können (zumindest kann man das nicht ernsthaft annehmen). Na gut, er hat ebensowenig
Lederhosen oder Smokings oder Hawaiihemden erfunden, sondern Adam und Eva recht
nackt ins Leben hinausgeschickt. Aber es ist doch so, daà die Lederhose und das
Hawaiihemd und zur Not selbst noch der feierliche Smoking eine folgerichtige
Hervorbringung des in seiner Nacktheit eher schutzlosen und schamhaften
Menschen darstellen. Aber sicher nicht der Reichtum, also die MaÃlosigkeit, die
eben darin besteht, ein siebenköpfiger Drache zu sein, als würde nicht auch im
Falle von Drachen ein Kopf völlig ausreichen.
Lorenz stand im Verkaufsraum seines um diese morgendliche
Stunde noch ungeöffneten Ladens und nippte an dem Kaffee, den er aus einer
feinen, alten Espressomaschine bezog,
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