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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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deren Funktionieren stark vom Wetter
abhing. Wenn es sehr feucht war, brauchte man sie gar nicht erst in Betrieb zu
nehmen. Das war übrigens eine recht junge wissenschaftliche Erkenntnis: die
ausgeprägte Wetterfühligkeit von Maschinen, ihre migränoide und arthritische
Natur. Es gab Experten, die meinten, dies sei ein erstes Zeichen der
Entwicklung echter künstlicher Intelligenz. Depression, Schwermut, Allergie,
schlechte Durchblutung. So, als würde die Intelligenz ihren eigentlichen
Ursprung aus der Krankheit beziehen. – Na, vielleicht auch umgekehrt.
    In jedem Fall war mit etwas Derartigem – einer Überhöhung des
Menschlichen in Gestalt von Maschinen – allgemein gerechnet worden. Im
Unterschied dazu hatte eine andere große Entdeckung in dieser Zeit zu der
heftigsten Verblüffung geführt. Gebildete, aufgeklärte Menschen wagten es kaum auszusprechen.
Doch die Sache war schwer zu leugnen. Die Augenzeugenberichte, Fotos, Filme und
Fundstücke, vor allem die tödlichen Vorfälle hielten der Prüfung durch die
Fachleute stand. Für die Kinder dieser Welt war es eine Freude, für die
Erwachsenen ein Schock: Zwerge!!
    In der Tat, man war in verschiedenen Gegenden Mittel- und Osteuropas
auf tief in den Wäldern lebende Zivilisationen gestoßen, bei denen es sich
nicht einfach nur um kleinwüchsige Wesen handelte, sondern um Kreaturen, die
sämtliche Attribute dessen aufwiesen, was wir von den Zwergen der Legenden und
Märchen kennen. Manche so groß wie Liliputaner, andere nicht höher als die
Pilze, hinter denen sie gerne in Deckung gingen. Manche knorrig, andere
rotbackig, alle aber ausgesprochen flink und fast immer mit weißen Bärten
ausgestattet, scheinbar nur Männer. Ein jeder von ihnen die bekannten Mützen
tragend. Sie verhielten sich auf eine selbstbewußte Weise scheu, weshalb sie
als so lange unentdeckt galten. Außer man meinte, es handle sich um eine extrem
junge Rasse. Denn auch diese Theorie machte die Runde: daß die Natur völlig
neue Geschöpfe hervorbrachte, vor allem zwar im Bereich der Tiefsee, aber
vielleicht eben auch in den Wäldern Böhmens und Mährens, des Harzgebirges oder
Transsilvaniens. Das waren genau die Gegenden, in denen die Wichtel gesichtet
worden waren. Einige von ihnen mit Stecken bewaffnet, allerdings Stecken der
besonderen Art. Es hatte Tote gegeben, tote Fotografen und tote Förster und wer
auch immer versucht hatte, den Frieden der dunklen Wälder zu stören.
    Erstaunlicherweise schien die Mehrzahl der Menschen die rabiate
Haltung der Zwerge zu begrüßen. Es bestand ein großes Bedürfnis, das Rätsel um
diese Wesen auch als ein solches zu erhalten. Zudem äußerte sich eine gar nicht
so leise Schadenfreude ob des Scheiterns der Medien, der Behörden und vor allem
der Wissenschaftler, deren läppische Versuche, im Stil einer neuzeitlichen
Wir-mögen-zentralafrikanische-Ureinwohner-also-mögen-wir-auch-Zwerge-Ethnologie
sich den wehrhaften Naturgeistern zu nähern, von diesen mit derselben
Entschlossenheit beantwortet wurde wie auch im Falle der Entsendung bewaffneter
Spezialeinheiten. Es endete stets auf die gleiche Weise: Die Zwerge töteten ein
paar der Eindringlinge mit ihren magischen Stöcken und verschwanden sodann in
Windeseile in ihren Erdbauten und Löchern. Wenn nicht etwa die Fähigkeit des
Unsichtbarwerdens hinzukam, was einen bei Zwergen ja nicht wirklich zu
überraschen bräuchte.
    Warum aber existierten diese Zwerge überhaupt? Es schien ja nicht so
zu sein, daß sie sich in der Funktion von Heinzelmännchen nützlich machten oder
als sinistre Alben Schabernack trieben. Weder beschützten sie die Menschen,
noch bestraften sie sie (was sie getan hatten, war schließlich pure
Selbstverteidigung gewesen). Sie schienen ganz einfach nur allein für sich zu
leben. Wie merkwürdig!
    Wieviel einfacher zu begreifen waren da diese gewisse Hinfälligkeit
und psychosomatische Prägung von dienstbaren Maschinen. Von Computern wie
Küchengeräten.
    Da es sich nun bei diesem bestimmten Morgen im Juli 2015
um einen angenehm warmen und trockenen handelte, war der Kaffee, den die
ausgesprochen wetterfühlige Kaffeemaschine in Plutos Liebe herstellte, bestens, wenn nicht exzellent zu nennen. Während Lorenz trank und
einen Katalog mit neuen Strickmustern durchblätterte (das Stricken für Hunde
war wieder Mode

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