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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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dreidimensionale Mannschaft, deren Stadion weit
entfernt lag, wurde er von Paul begleitet. Jenem Paul, den von der Schule
abzuholen einst den Ausgangspunkt für Seras und Lorenz’ Liebesbeziehung
gebildet hatte. Seras Neffe war jetzt fünfzehn, und es war mitnichten eine
Begeisterung für die grün-weißen Rapidler, die ihn dazu veranlaßte, Lorenz auf
diesen samstäglichen Pilgerausflügen zu begleiten (er selbst war Anhänger einer
Mannschaft namens Vienna, was Pauls typischen Hang zu Randgruppen und
sämtlichen Benachteiligten in Natur und Gesellschaft auf eine symbolhafte
Spitze trieb). Paul hatte sich dem Tierschutz, dem Minderheitenschutz,
interessanterweise auch dem Schutz des ungeborenen Lebens (er war so eine Art
katholischer Punker), der Altenpflege, der Pflege des First Vienna FC 1894 und
eben auch dem Schutz des linksseitig blinden und tauben und wehrlosen Lorenz
Mohn verschrieben. Er war ein kleiner Heiliger, wie sie immer seltener werden.
Daneben war er übrigens ein unglaublich hübscher Bursche, der aber die eigene
Heiligkeit noch dadurch steigerte, die erwachende Sexualität für etwas zu
halten, das man lieber verschlafen sollte. Er pflegte zu sagen: »Ein geiler
Trottel kann ich immer noch werden, wenn ich einmal ein geiler Trottel bin.«
    Auch wenn Lorenz, wie fast alle Neglectpatienten, wegen seiner– wie es so schön heißt – »mangelnden
Störungseinsicht« überzeugt war, sich im gesamten Stadtgebiet bestens
zurechtzufinden, bestand die Wahrheit darin, daß er ohne Paul oder Sera oder
eine der Damen aus seinem Kundenstamm, die ihn nur allzugerne auf seinen
größeren Spaziergängen begleiteten, verloren gewesen wäre. Lorenz’
Einseitigkeit mochte im Rahmen seiner Rosmalenidylle durchaus funktionieren,
erwies sich jedoch als schlichtweg unpraktisch, wenn es darum ging, sich in den
weiten Gefilden einer Stadt zu orientieren, die fast überall eine linke und
eine rechte Seite aufwies. Natürlich wäre es möglich gewesen, einfach ein Taxi
zu nehmen. Aber Lorenz war kein Taximensch, er hielt alle Leute in diesem
Gewerbe für notorische Betrüger – was eine Übertreibung bedeutete, die, wie
viele Übertreibungen, im Schatten der Realität stand – und wäre darum nie
bereit gewesen, in ein solches einzusteigen.
    Weil nun Lorenz zwar ein Neglectiker war, doch darum ja noch kein
Idiot, war ihm durchaus bewußt, wie sehr Sera fürchtete, er könnte sich
rettungslos verirren. Er nahm diese Sorge als das an, was sie war, als einen
Ausdruck von Liebe. Und da war es nun mal ziemlich egal, ob selbige Sorge eine
Berechtigung besaß oder nicht.
    Jedenfalls war genau dies der Grund für jene Zeilen gewesen, die
Lorenz soeben geschrieben hatte und in denen er vorgab, von einem Freund
begleitet zu werden.
    Â»Gehen wir«, sagte Lorenz, schlüpfte in den rechten Ärmel seines
Jacketts, vergaß den linken, der also in der nächsten Zeit über seinen Rücken
hing, vergaß hingegen nicht, die Kaffeemaschine auszuschalten, welche wie
selbstverständlich sich stets im Bereich der rechten Hemisphäre aufhielt, trat
aus seinem Geschäftslokal und blickte einen Moment zum Himmel hoch. Es war
stark bewölkt. Schade eigentlich, dachte er, und zwar eingedenk der Plutosonde.
So, als hätte man sie bei wolkenlosem Himmel sehen können.
    Er wußte, daß das Unsinn war. Aber er dachte es trotzdem.

24  |  Vergiftete Taxis
    Die Villa hatte sich in den sieben Jahren nicht viel
verändert. Nur der Garten schien unter den pflegenden Händen von Montbards
Mutter gewonnen zu haben. Wie gehabt, kniete sie vor einem Blumenbeet,
stocherte in der Erde herum und machte mit Hut und Latzhose und breitem Rücken
wie damals einen insgesamt sehr männlichen Eindruck. Man hätte meinen können,
die gute Frau wollte auch noch in tausend Jahren Blumen zum Blühen verhelfen
und damit ein Stück sinnlose Natur am Leben erhalten. Und genau wie an jenem 14.
Juli vor sieben Jahren standen nun Lorenz Mohn und Claire Montbard auf der
hölzernen, von zerbrechlich dünnen Stangen unterteilten Veranda und
betrachteten den maskulinen Mutterrücken. Eine ganze Weile verharrten sie in
dieser Beschaulichkeit, von Montbards Dienerbruder mit Kaffee und Wasser
versorgt, dazu Cognac für Claire sowie Aquavit für Lorenz. – Der Einwand, für
Alkohol sei es um zehn am Vormittag ein

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