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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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abstraktes Bild, das lebt.
    Â»Ich kann mir schon denken«, sagte Lorenz, »wie es wirklich ist.
Diese Typen sind bloß Gartenzwerge im Reich der Kapitalmärkte. Und Sie,
Montbard, sind die sogenannte höhere Macht.«
    Â»Ich vertrete sie nur, diese höhere Macht«, korrigierte die
Hausherrin und griff nach einer Zigarette, wobei es aussah, als würde sie den
Stengel aus einem Fach ziehen. Einem unsichtbaren Fach, das mitten in der Luft
stand, an eine gleichermaßen unsichtbare Wand montiert.
    Lorenz wandte ein, daß er dann nicht verstehen könne, inwieweit für
Claire Montbard überhaupt eine Bedrohung bestehe, wo doch diese Männer, die da
Weltball spielten, unter ihrer musenhaften Kuratel standen.
    Claire Montbard blies einen schönen, geraden Streifen in die Luft,
der sich nach einem Meter in eine liebliche wölkerne Ranke verwandelte, und
meinte: »Das können Sie nicht verstehen. Dinge sind schiefgelaufen. Und für
schiefgelaufene Dinge gibt es immer einen, der den Kopf hinhalten muß. Diesmal,
fürchte ich, soll es mein Kopf sein.«
    Â»Schade um einen solchen Kopf«, schmeichelte Lorenz.
    Â»Das finde ich auch«, bestätigte die Kopfbesitzerin.
    Lorenz erkundigte sich nun, wer mit den »höheren Mächten« eigentlich
gemeint war, und ließ sich zu drei Vermutungen hinreißen: »Götter? Geister? Die
CIA?«
    Â»Ach nein«, lachte Montbard und blickte vielsagend zum Himmel hoch.
»Sie dürfen höher durchaus wörtlich nehmen. Aber
selbst das brauchen Sie nicht zu verstehen. Sie brauchen nur auf mich aufzupassen.
Ich habe einen Tisch für Sie reservieren lassen. Kommen Sie um neun. Um
passende Kleidung muß ich Sie ja nicht extra bitten. Sie wirken sogar in Ihrem
Trainingsanzug noch bedeutend eleganter als all diese unförmigen Säcke in ihren
maßgeschneiderten Jacketts. – Mein Gott, die bedauernswerten Schneidermeister!
Denn wenn man es recht bedenkt, dann ist ein Herrenanzug nichts anderes als ein
Fell. Eins, das der Gattung entspricht. Der Gattung Herr .«
    Sie drückte ihre Zigarette in einer Weise aus, als klappe sie ein
sehr kleines Buch zusammen, und postulierte: »Ein Tigerfell ist ein Tigerfell.
Und jetzt stelle man sich vor, ein armes Schneiderlein wäre gezwungen, die
perfekte Form eines Tigerfells für einen Braunbären oder einen Feuersalamander
oder für einen im Raum schwebenden Arsch umzuschneidern. So sieht das dann aus:
Tiger, die keine sind.«
    Â»Ich bin auch kein Tiger.«
    Â»Aber Sie scheinen immer das richtige Fell zu tragen und wirken
nicht wie eine Fälschung.«
    Den letzten Satz hatte Lorenz nicht mehr mitbekommen. Er dachte,
Montbard habe unvermutet die Veranda verlassen und sei nach drinnen gegangen,
um was auch immer zu erledigen. Tatsächlich jedoch war er selbst von
irgendeinem Geräusch im Haus abgelenkt worden und hatte dabei eine kleine
Drehung vollzogen, derart, daß Claire Montbard aus seinem Wahrnehmungsfeld
herausgerutscht war. Gleichgültig, was die Hausherrin jetzt sagte oder tat, für
Lorenz fand es nicht statt. Als sie aber einen Moment später wieder ihre
Position wechselte, geriet sie erneut in jene Sphäre, in der sie von Lorenz
gehört und gesehen wurde, so, als sei sie gerade eben zurückgekehrt. Und in der
Neglectwelt war sie das ja auch. Zurück aus dem blinden Raum.
    Â»Haben Sie begriffen?« fragte sie.
    Â»Was begriffen?«
    Â»Was ich Ihnen über die Waffe gesagt habe.«
    Â»O nein! Ich kann mit so was wirklich nicht umgehen. Ehrlich!«
flehte Lorenz. Er bemerkte jetzt, daß auf dem Marmortisch, wo sein Kaffee und
sein Cognac standen, auch eine Pistole lag. Neben dem Tisch wiederum wartete
Montbards angeblicher Bruder. Er nahm die Waffe und erklärte ihre Bedienung.
Lorenz hörte zu, ohne zuzuhören, obgleich der Vortrag ja durchaus in seinem
Wahrnehmungsfeld erfolgte. Doch für Lorenz stand fest, daß er dieses Mordsding
in keinem Fall benutzen würde. Lebensrettung war eine Sache, doch die Wahl der
Waffen, die dazu notwendig wären, war noch immer seine eigene Angelegenheit.
Darum auch verweigerte er die Pistole, die der Dienerbruder ihm nun hinhielt,
und erklärte, an Montbard gerichtet: »Wie ich Sie rette, ist meine Sache.«
    Er hatte mit einer Bestimmtheit gesprochen, als wäre seine Ablehnung
einer Pistolenbenutzung getragen vom Wissen um eine probate Alternative. Als
sei

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