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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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wenig früh, war in Wien eher
ungebräuchlich. Warum auch, dachten die meisten Wiener, sollte sich ausgerechnet
der für seine Eigenwilligkeit bekannte Alkohol an der bürgerlich-spießigen
Festlegung tageszeitlicher Usancen halten. Der Alkohol war für viele der
einzige kleine Freiraum, der immer und überall Bestand hatte und einem das
Gefühl gab, nicht vollständig unter der Knute der im Grunde verhaßten sozialen
Marktwirtschaft zu stehen, die so wenig sozial war wie die Gewöhnliche
Lanzenotter gewöhnlich. Soziale Marktwirtschaft und Gewöhnliche Lanzenotter
zeichneten sich vor allem durch eines aus: ihre hohe Giftigkeit.
    Â»Ich darf festhalten«, eröffnete Claire Montbard, die ein sommerlich
buntes Piet-Mondrian-Kostüm aus der berühmten Yves-Saint-Laurent-Serie trug und
damit wie der Inbegriff der Moderne anmutete: sachlich und elegant und auf eine
geometrische Weise erotisch. Sie sagte also, sie würde festhalten, daß er,
Lorenz, nicht in der Lage sei, die zweihunderttausend Euro zurückzuzahlen.
    Â»So ist es«, antwortete Lorenz und trank seinen Aquavit, der wie das
meiste Schmalflüssige – im Unterschied zu breitflüssigen Getränken wie Cognac
oder Kaffee – den Vorteil besaß, nicht in rechts oder links
auseinanderzufallen, sondern nur in oben und unten.
    Â»Sie wissen, was Sie mir schuldig sind«, sagte Montbard und zündete
sich eine Zigarette an.
    Lorenz nickte. »Ihr Bruder hat mich daran erinnert. Ich bin
verpflichtet, ein Leben zu retten. Aber das ist ja wohl eher symbolisch
gemeint.«
    Â»Wie kommen Sie darauf? Es ist genau so gemeint, wie es gesagt ist.«
    Â»Toll!« rief Lorenz aus. »Ich erlebe es nicht oft, daß das Gesagte
auch das Gemeinte ist.« Er sprach im Ton einer schwindsüchtigen Ironie. Und
fragte sodann, wen er wie retten solle. Um gleich darauf einzuwenden, daß er
vor kurzem einen Infarkt erlitten hätte, im Zuge dessen etwas geschehen sei,
was seine Umwelt offensichtlich als Beeinträchtigung ansehe.
    Â»Ich sage nicht«, erklärte er, »daß ich einen Hau weghabe, aber es
scheint doch so zu sein, daß ich mich für gewisse Dinge nicht mehr eigne. Ich
glaube, Lebensrettung gehört dazu.«
    Â»Ich weiß«, versicherte Montbard mit einem Lächeln von der Art eines
fröhlich gemusterten Hautausschlags, »wie es um Sie bestellt ist. Ich lasse
meine Schuldner nie aus den Augen. Ich habe von Ihrem Neglect erfahren. Und
sehen Sie, genau das ist der Punkt. Ihr Neglect ist ideal.«
    Nun, dies war ja eigentlich auch Lorenz’ eigene Meinung, nämlich
über ein ideales Neglect zu verfügen. Aber
Lebensrettung, insistierte er, sei etwas anderes als die behutsame Führung
eines Strickwarenladens und das Leben im Kreise rücksichtsvoll immer auf der
rechten Seite stehender lieber Menschen. Lebensrettung wäre für einen
Neglectmenschen wie Tennis: unmöglich zu spielen, wenn der Gegner erst mal
begriffen hatte, wie komfortabel es war, nur noch auf eine Seite zu schlagen.
    Doch Montbard schüttelte den Kopf. Keine Frage, es war an ihr, der
Kreditgeberin, zu beurteilen, was klappen würde und was nicht. Wenn sie darauf
bestand, Lorenz solle Tennis spielen, so würde er es tun müssen.
    Um Tennis freilich ging es nicht, sondern um etwas sehr viel
Komplizierteres. Montbard legte dar, daß sie, als sie vor sieben Jahren Lorenz
im Falle eines Schuldigbleibens des Geldes zur Rettung eines Lebens
verpflichtet hatte, dabei an niemand Konkreten gedacht hatte. Diese Regelung
war ihr spontan eingefallen. Einzig und allein, um einen Kontrapunkt zu setzen,
wo doch ständig säumige Schuldner dazu erpreßt wurden, sich die Hände schmutzig
zu machen, gezwungen waren, ihrerseits andere Schuldner unter Druck zu setzen,
sich als Drogenkuriere oder Spitzel oder Sexualobjekte herzugeben und mitunter
sogar einen Auftragsmord zu begehen. Warum nicht einmal das Gegenteil
verlangen? Keine Tötung, sondern eine Rettung. Aber wie gesagt, weder war ihr
eine bestimmte Art der Lebensrettung noch ein bestimmtes zu rettendes Leben
durch den Kopf gegangen. Allein die Idee hatte ihr Freude bereitet. Auch hatte
sie ja nicht ernsthaft erwartet gehabt, er, Lorenz, würde das Geld tatsächlich
schuldig bleiben. Derartiges kam eigentlich nicht vor. Die Leute fürchteten
sie, das war schließlich der Sinn der Übung. Eine indifferente Furcht zu
verbreiten,

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