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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zu erleben, dieses An-den-Händen-Fassen, das
einen die Magie kreisförmiger Energiefelder spüren läßt, dieses
Kerzenausblasen, als trage man auf eine freundliche Weise das vergangene
Lebensjahr zu Grabe. Denn das gibt es ja auch: schöne Gräber und schöne Kreise.
Und eben schöne Geburtstage.)
    Dies waren die Bilder, die Lorenz in seinem Kopf behalten hatte, all
die Geburtstagsfeiern im Kreis der Pornodarsteller, der Kameraleute und
Regisseure und der gerade zu solchen Anlässen gerne auftauchenden Produzenten.
Denn in einer Welt, in der kein Wort so brutal und eindringlich, so böse
verführerisch und verführend toxisch wie das Wort »ficken« in sämtliche Köpfe
fährt und andauernd Entzündungen hervorruft, sehnen sich selbst Produzenten nach
der Unschuld von Geburtstagsfeiern, zu denen sicherlich hin und wieder auch
Tränen und Enttäuschungen gehören, aber mitnichten Entzündungen von der Art,
wie sie sich im Zuge der Welteroberung eines kleinen häßlichen Wortes ergeben.
    Â 
    So war das also mit Lorenz Mohns idealem Neglect. Und
darum auch konnte er den dünnen, gräulichen Mann, der eben eingetreten war und
sich als Vertreter von Claire Montbard vorgestellt hatte, nicht erkennen und
nicht hören und nicht riechen.
    Nachdem nun dieser Mann dazu übergegangen war, darzulegen, daß es
Mohn nichts nützen würde, sich taub zu stellen, er aber auch weiterhin keine
Antwort erhalten hatte, setzte er sich in Bewegung – möglicherweise von seinem
eigenen Instinkt angetrieben – und vollzog einige Schritte auf Lorenz’ rechte
Seite. Eigentlich bloß, um das kleine, kräftige Bonsaibäumchen zu betrachten,
welches am andere Ende der Verkaufstheke einen dekorativen Abschluß bildete.
Somit jedoch geriet er unbewußt in Lorenz Mohns Wahrnehmungsfeld, welcher
dementsprechend überrascht den Kopf hob und ein im Ton vorwurfsvolles »Guten
Morgen!« entließ. Vorwurfsvoll darum, weil es ja eigentlich am Eintretenden
gewesen wäre, einen Gruß auszusprechen und sich nicht still und heimlich
Zutritt zu verschaffen.
    Zudem bemerkte Lorenz: »Wir haben noch geschlossen.« Dabei nippte er
weiter an seinem Kaffee, den er von oben betrachtet freilich nicht als Kreis,
sondern nur als Halbkreis wahrnahm, ohne daß ihn dies irritiert hätte. Als sei
es schon immer so gewesen: halbe Uhren, halbe Tastaturen, halbe Gemälde, halbe
Portionen. Mitunter vergaß er, sich den linken Schuh anzuziehen. Oder er putzte
allein die Zähne der rechten Kieferhälfte. Aber da war ja noch immer Sera, die
ihm half. Sera übrigens sah er stets vollständig, so wie er deren Schwester
stets vollständig übersah. – Man kann wahrscheinlich sagen, daß die Welt
sowieso nur aus einer Hälfte besteht, jedoch die meisten geistig gesunden
Menschen sich die andere Hälfte dazudenken. Lorenz zerebraler Defekt hatte
folglich nichts anderes bewirkt als eine Aufhebung seiner »normalen«
Einbildungskraft.
    Der andere Mann hingegen verfügte über eine solche. Er ignorierte
den Hinweis auf die zu frühe Stunde und wiederholte, wer ihn geschickt habe.
Der Name war Lorenz nicht ganz unvertraut. Er überlegte kurz. Dann fragte er: » Die Claire Montbard?«
    Â»Kennen Sie etwa eine zweite?« fragte der dünne Mann, wie man fragt,
wie oft sich Leute in der Regel das Leben nehmen.
    Â»Ich habe von ihr gehört«, sagte Lorenz völlig gelassen. »Die Grande
Dame der Unterwelt. Sie scheint nicht zu altern. Aber das macht sicher der
Beruf. Für manche ist das Leben mit dem Bösen ein Jungbrunnen. – Ich bin da
anders. Das Böse ist wirklich nicht meine Spezialität. Darum frage ich mich,
was Sie von mir wollen.«
    Â»Sie daran erinnern, daß heute die Rückzahlung Ihres Kredits fällig
wird. Zweihunderttausend. In bar. Hier und jetzt.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Sie hatten sieben Jahre Zeit, lieber Freund.«
    Â»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, äußerte Lorenz und überlegte,
ob es sich um einen dummen Scherz handle und er diesen Wicht lieber gleich vor
die Tür setzen solle.
    Aber der Wicht sagte: »Ganz gleich, ob Sie sich dumm stellen oder es
tatsächlich sind, es wird nichts daran ändern, daß Sie Ihrer Verpflichtung nachkommen
müssen. Oder denken Sie, jemand wie Claire Montbard wäre bereit, Ihnen einen
Idiotenbonus zu gewähren?«
    Lorenz

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