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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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für die eigene
Person ausschloß.
    Darum also der Druck auf den Augen.
    Zur Liebe freilich gehört eine Portion Todesverachtung. Der Liebende
ist immer Soldat. Und obgleich die Milchmädchen-Regel besteht, daß man nicht in
Schlachten ziehen sollte, die man verlieren wird, spricht die Realität des
Krieges eine andere Sprache. Das Prinzip des Soldaten ist es, vorwärts zu
marschieren und erst umzukehren, wenn es zu spät ist. Aus dieser Idiotie
bezieht er seine pathetische Berechtigung vor Gott, daraus nämlich, etwas
Dummes zu tun. Als würde sich Gott über nichts mehr erfreuen als über das
Dumme. Und genauso handelt auch der Liebende.
    Â»Zeit, Paul abzuholen«, unterbrach Lou das Gespräch über
Bomben und Ehen.
    Â»Paul ist unser Neffe«, klärte Sera auf.
    Â»Findest du, daß das Herrn Mohn etwas angeht?« murrte Lou und gab
sich vermittels einer scherenartigen Geste selbst die Antwort. Sie war überhaupt
eine Frau, die gerne mit Scheren hantierte. Warum, das würde Lorenz auch noch
erfahren.
    Der Künstlerin Lou Bilten war es vor allem zu verdanken, daß die
alte Kunst des Scherenschnitts eine Wiederbelebung erfuhr. Ihr eigener Stil,
der in einer stark illusionistischen, mit Raumtiefen arbeitenden Tradition
stand, besaß dennoch eine irritierende Aktualität. Als hätte das neunzehnte
Jahrhundert einen direkten Zugang ins einundzwanzigste gefunden. Lous Werk war
frei von den Wegen und Umwegen der Moderne, aber ebenso frei von der
Überwindung derselben. Es war gleichermaßen betörend und erschreckend, was Lou
Bilten da mit ihren mal tiefschwarzen, mal hellgelben, mal winzigkleinen, mal
wandfüllenden Scherenschnitten zustande brachte. Wenn man diese durch und durch
unsympathische, durch und durch geschmacklose und häßliche Person sah, war es
schwer vorstellbar, welch perfekt komponierte, im Detail netzartig fragile, als
Ganzes jedoch höchst kompakte Szenen sie hervorbrachte, die wie die
Illustrationen zu zeitgenössischen Märchen anmuteten. Es waren moderne
Prinzessinnen, die hier im Stile mondäner Geschäftsfrauen oder selbstbewußter
Dominas durch ein Gewebe aus schickem Mobiliar und geisterhaften Brechungen
glitten. Die Frösche und Zwerge der alten Märchen standen an den Theken der
Bars und Diskotheken oder drängelten sich in den Aufzügen der Bürohochhäuser.
Und inmitten des Gewimmels, inmitten der gefüllten Interieurs taten sich helle,
unbewohnte Flächen der Ruhe auf, man könnte auch sagen: leere Sprechblasen.
    Na gut, jeder konnte das interpretieren, wie er wollte. Jedenfalls
hatte Lou Bilten als Künstlerin einen guten Namen, und ihre Kunstschule ebenso.
Zumindest galt die Schule als mysteriös. Es gab dort mehr Scheren als in jedem
Haushaltsladen.
    Zunächst jedoch erfuhr Lorenz von Sera, daß sie wie auch Lou einen
Bruder hatte und dieser einen Sohn, ebenjenen Paul. In Pauls zweitem Lebensjahr
war dessen Mutter ins Ausland gezogen, besser gesagt geflüchtet, und hatte das
Kind bei seinem Vater zurückgelassen. Ohne viel Federlesen. Es gibt Menschen,
die derart aus ihrer Not bestehen, daß für ein Herz kein Platz mehr bleibt. Und
wenn es heißt, sie hätten ein Herz aus Stein, dann ist das ein Irrtum. Die Not
mancher Menschen läßt nicht einmal einen Stein zu.
    Die Mutter verschwand also. Es hieß, sie sei nach Schweden gegangen.
Aber im Grunde war es egal, wohin sie verschwunden war. Viktor, so hieß Lous
und Seras Bruder, Viktor stand mit einem Mal mit einem Kind da, ohne recht zu
wissen, was zu tun war. Er arbeitete als Programmierer, er schuf künstliche
Welten, nicht wirkliche. Die wirkliche Welt war ihm ein Rätsel. Beziehungsweise
erlebte er die wirkliche Welt als eine Ansammlung unprogrammierbarer Tücken.
Darum war er ja geworden, was er war, ein Erfinder, der logische Regeln
kreierte. Und welcher auch die Regelbrüche in ein Korsett zwängte. Er
bestimmte, wie groß das Korsett ausfiel und wie groß die Freiheit. Im Vergleich
dazu war das wirkliche Leben erbärmlich, ein Leben, in dem es geschehen konnte,
daß die eigene Frau eines Tages ihre Sachen packte und einen Zweijährigen
zurückließ, um nach Schweden zu gehen. Die Situation, die sich daraus ergab,
erschien Viktor im wahrsten Sinne als unberechenbar.
    Â»Du brauchst Paul nicht zu berechnen. Gib ihm einfach was zu essen«,
hatte Sera dazu gemeint.
    Leider gibt es

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