Gewitter über Pluto: Roman
unangenehm, wie gut er sich versteht und wie
gut er von anderen verstanden wird, von Leuten, die seine Leidenschaft teilen
und denen nichts lieber wäre, als wenn er sterben würde, damit sie über seine
Kunstsammlung herfallen können.«
Lorenz versetzte seinen Kopf in eine diagonale Position und gab
einen anerkennenden Ton von sich. »Das hat etwas für sich.«
Von rechts aber kam Lous dunkle Stimme dahergerauscht: »Das fehlt
jetzt noch, daà Sie sich meiner Schwester andienern.«
»Ich dienere nicht. Ich überlege bloÃ. Mich erinnert das Ganze an
die Geschichte eines Freundes.«
»Verschonen Sie uns damit«, sagte die letzte
Raucherin und griff nach ihrer Marlboro-Packung, auf welcher sich Lorenz
eine Aufschrift wünschte wie: Du fettes Schwein, wir bringen dich ins Grab!
Versprochen!
»Sei nicht so grausam zu Herrn Mohn«, sagte Sera ruhig. Man merkte,
es lag eine groÃe Kraft in ihrer milde vorgetragenen Bitte. Etwas, das Lou
einschüchterte. Denn so mächtig Lou auftrat und sosehr sie auch spöttische
Bemerkungen zu Seras Zauberwald abgab, war sie dennoch ein hierarchischer
Menschentypus, der das Ãbergeordnete unbedingt akzeptierte. Und Sera schien
dieses Ãbergeordnete in gewisser Weise zu verkörpern. Ja, man konnte sich
vorstellen, daà die kleine Schwester die groÃe Schwester bestens im Griff
hatte. Genau so, wie sie ihre Kundschaft im Griff hatte, heiratswillige
Bogenschützen und heiratswillige Zielscheiben.
Sera gab Lorenz ein Zeichen. »Sie wollten von einem Freund
erzählen.«
»Es ist einige Zeit her«, begann Lorenz. »Und es ist eine
Geschichte, die zeigt, wie schlecht das laufen kann, so eine Heiratsvermittlung
nach herkömmlicher Art. Wenn man Leute sucht, die gut zusammenpassen:
Nichtraucher, sportlich, modebewuÃt, Kinderwunsch, asiatische Küche,
Designermöbel, Designerbrillen, Rotwein, Bier nur im Freien, Italien nur im
Landesinneren, Fernsehen nur bei Arte, solche Dinge eben. Man kann sich das ja
vorstellen. Sein Name war Fritz. Ihr Name war Sheila. Vielleicht hätten sie
weniger auf ihre gemeinsame Vorliebe für Rotweine als auf ihre Namen achten
sollen. Von wegen zusammenpassen. Fritz und Sheila klingt wie Oswald und
Kennedy. Jedenfalls haben sie sich über ein Institut kennengelernt, gleich beim
ersten Versuch, weil ihre Interessen gar so nahe beieinanderlagen. Sie sich
aber auch bestens ergänzt haben, wie es hieÃ.«
»Wer hat das gesagt?«
»Das Institut. Aber natürlich haben die zwei es genauso empfunden.«
»Beide gutaussehend?«
»So ziemlich.«
»Das macht es immer schwierig«, erklärte Sera. »Die Gutaussehenden,
die Gutsituierten und die Gebildeten verstehen das Prinzip des verbindenden
Widerspruchs überhaupt nicht. Sie stecken in ihrer Kategorie und ihrer Klasse
fest und halten das sogar für ein Glück. Wenn jemand hübsch ist, empfehle ich
unbedingt, nach jemand weniger Hübschem Ausschau zu halten. Man kann keine
Symbiose bilden, wenn beide eine Alge sind oder beide Goethe heiÃen.«
»Das würde Fritz heute sicher unterschreiben«, meinte Lorenz.
»Könnte er noch schreiben.«
»Ist er denn tot?« fragte Sera.
»Nein, aber schreiben kann er trotzdem nicht. Nicht mehr. Dabei
hatte er einmal eine wirklich schöne Handschrift, originell und trotzdem
leserlich. Bei Handschriften ist das geradezu ein Wunder. Auch seine Handschrift
wurde von den Heiratsvermittlern als Indiz dafür gewertet, wie gut er zu Sheila
paÃt. Irrsinnig!«
Lorenz berichtete, wie Fritz und Sheila vor nun fünfzehn Jahren,
fürsorglich betreut von jenem Institut, sich begegnet und sehr bald darauf den
Bund der Ehe eingegangen waren. Ihr Pech war es nämlich gewesen â obgleich
beide modern und der Kirche untreu â, in eine Phase beginnender Eherenaissance
geraten zu sein. Der Begriff des Lebensabschnittsgefährten hatte zu dieser Zeit
nur noch widerlich und deprimierend geklungen, als rede man von Fertigpizza
oder Sachertorte aus der Tiefkühltruhe, und wie schon erwähnt waren Fritz und
Sheila Anhänger der gehobenen asiatischen Küche gewesen. Darum also Heiraten.
4Â | Â Zwischen
Heirat und Scherenschnitt
Es war eine ziemlich verrückte Geschichte, die Lorenz da
erzählte. Der Mann, der Fritz hieÃ, hatte sich am Ende, nachdem ihm sein guter
Ruf und seine Kinder und sein Geld und
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