Gewitter über Pluto: Roman
wieder an die alte Stelle.
Lorenz ignorierte die Bemerkung und erkundigte sich bei Sera nach
der genauen Art ihres Heiratsinstituts.
»Ich mache das ganz alleine«, erklärte die blauhaarige, hellhäutige
und mittels vierer Muttermale signierte Frau. »Ich unterhalte mich mit meinen
Kunden. Weder lasse ich sie Fragebögen ausfüllen noch in eine Kamera
hineinsprechen. Ebensowenig frage ich sie nach ihren geheimsten Wünschen. Wenn
sie darüber reden wollen, gut, wenn nicht, dann gehört es wohl zu ihrem Wesen, nicht darüber zu reden. Ich bin keine Psychologin. Ich
brauchte nichts zu erfahren, was auch ein zukünftiger Partner nicht erfahren
wird. Ich will nichts enthüllen, keine Seele offenlegen, keine Anatomie
betreiben. Wenn ich denke, daà ich zwei Menschen gefunden habe, die
zusammengehören, dann sage ich es diesen beiden Menschen.«
»Ich bin überzeugt, man vertraut Ihnen«, äuÃerte Lorenz.
»Nachdem ich wie eine Wahrsagerin arbeite, gehört Vertrauen
natürlich dazu. Die Leute glauben daran, weil sie daran glauben wollen. Dabei
haben die meisten von ihnen nur schlechte Erfahrungen gemacht. Sie sind
gebeutelt vom Leben. Und das letzte, was ich tue, ist, ihnen eine Chance
zurückzugeben, die sie nie hatten.«
»Was tun Sie dann?«
»Ich vermittle eine Idee. Ich vermittle die Idee, daÃ, wenn man mit
einer Katze und einem Hund und einem Stall voll Meerschweinchen gut auskommen
kann, es ebenso mit einem Partner funktionieren sollte. Man muà den Partner als
Haustier sehen. Man muà aufhören, den Intellekt so ungemein hoch zu hängen. Man
muà aufhören, sich Wunder zu erwarten, wo es doch seit Urzeiten nur darum geht,
nicht einsam am Lagerfeuer zu sitzen.«
»Gespräche gehören dazu«, fand Lorenz. »Es wäre schade, würden wir
beide jetzt nicht miteinander reden.«
»Erstens wollen wir nicht heiraten«, stellte Sera fest. »Und
zweitens habe ich nichts gegen das Sprechen an sich gesagt. Man redet
schlieÃlich auch mit seinen Haustieren, und keineswegs nur blödes Zeug. Aber
sind wir ehrlich, wir wollen von unserem Haustier nicht wirklich verstanden
werden. Von unserem Partner hingegen sehr wohl. Und das ist das Unglück. Reden,
Plaudern, Angeben, Streiten, alles okay, wer jedoch verstanden werden will, hat
ein Problem. Ich bemühe mich, meinen Kunden das klarzumachen. Wenn sie
verstanden werden wollen â dâaccord! Ab in die Kirche! Ab in die Therapie! Nur
bitte nicht zu Hause.«
Es betrübte ihn ein wenig, daà Sera so definitiv eine Heirat
zwischen ihnen beiden ausschloÃ, obgleich das in dieser Situation nur normal
war. Sie hatte ja recht. Dennoch, er spürte etwas in seinen Augen. Einen Druck.
Nicht den Druck von Kammerwasser, welches gegen die rückwärtigen Augenhäute
klatscht, nein, es war der Druck, den man spürt, wenn am Ende eines Films der
Held sich opfert. Sinnlos opfert. Nur, um die angebetete Frau an einen anderen
zu verlieren.
Lorenz hatte sich verliebt.
Kann man das so sagen? Wenn jemand gerade mal zwei mal fünfzehn
Minuten â (Was dauert ebensolange? Blödes HallenfuÃball? Noch blöderes
SitzfuÃball?) â einer Frau gegenübergesessen ist, kann man dann wirklich sagen,
er habe sich unsterblich in diese Person verliebt?
Andererseits: Welche Zeit wäre angemessen? Wie lange soll man denn
brauchen, um festzustellen, daà ein blauhaariges, durch herbstgrüne Glasaugen
schauendes, verschwenderisch zartes Wesen â eine auf MenschengröÃe
hochgeschossene Elfe, deren Flügel und Seele kein Schurke je zu zerquetschen
vermag â, daà diese Frau die einzig richtige ist, nicht nur fast, nicht nur zu
neunundneunzig Prozent, nicht nur, wenn man sich dieses oder jenes wegdenkt,
das Zänkische, das Gierige, das Kleinliche, die Beine, das Gesicht, die Sprache
oder was sich Männer und Frauen in der Regel so alles wegdenken müssen, um sich
richtig verlieben zu können. Hier war das anders. Lorenz brauchte sich nichts
wegzudenken. AuÃer vielleichtâ¦höchstwahrscheinlichâ¦sich selbst. Vor
allem, weil sich die Frage aufdrängte, ob Sera Bilten überhaupt an die
Möglichkeit dachte, nicht nur ihre Kunden glücklich zu machen, sondern zudem
ein eigenes Liebesglück anzustreben. Es war eine bloÃe Vermutung. Aber Lorenz
hatte das schlimme Gefühl, daà Sera ein solches Liebesglück
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