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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Seifen.
Nun, auch hier fehlte ein Fenster. Aber das war gut so. So konnte die Welt
draußen bleiben. Wer braucht schon ein Fenster, wenn er badet?
    Â»Kannst du mir helfen?« fragte Sera. Das nasse Gewand klebte ihr
geradezu am Körper.
    Lorenz trat hinter sie und griff nach dem Saum des Kleides.
Vorsichtig, wie um nicht Seras Haut zu berühren, zog er den Stoff nach oben und
führte ihn über die gestreckten Arme. Eine Weile hielt er das Wäscheknäuel
hilflos in der Hand und sah auf Seras Rücken. – Er hätte nie gedacht, daß ein
Rücken so schön sein konnte. Das ist nämlich sowieso ein Fehler, diese
Vernachlässigung der Rücken angesichts der Dominanz der mit Brüsten bewachsenen
Vorderseiten. Für nicht wenige Männer fängt die Rückseite einer Frau erst mit
dem Hintern an. Sie sehen keine Schulterblätter, sehen nicht die feine Linie
der Wirbelsäule, die kompakte Form der Lende, dieses gleichzeitig panzerartige
und einladende Wesen des Rückens. Man muß einen Rücken nicht unbedingt
massieren, um sich seiner bewußt zu werden.
    Jedenfalls hatte es Lorenz noch nie erlebt, sich derart in eine
Rückenansicht zu vergucken, derart gebannt die zarte Struktur wahrzunehmen, den
Umstand leichter Wellung und sanfter Schwingung. Seras Rücken erschien ihm wie
das Versprechen, daß die Welt einmal eine bessere sein würde. Einfacher,
barmherziger, versöhnlicher, zudem eleganter und vornehmer.
    In gewisser Weise hätte Lorenz dieser Rücken genügt, um glücklich zu
werden. Aber so ist es ja oft. Wir bekommen immer mehr, als wir eigentlich
nötig haben. Als wir eigentlich vertragen. Wir wollen im Lotto gewinnen, um
unsere Schulden zu bezahlen. Und gewinnen plötzlich ein Vermögen. Viel zuviel
Geld, sodaß wir uns ein Haus kaufen müssen, einen Porsche, einen zweiten
Porsche, eine neue Frau oder einen neuen Mann, und wenn schon keine neuen
Kinder, dann einen neuen Hund, Gerolf von Hildesheim oder wie der dann heißt.
Dabei wollten wir doch nur unsere Schulden loswerden. Schließlich stehen wir da
und heulen bittere Tränen, weil wir uns nach unserem alten Hund sehnen.
    Natürlich empfand es Lorenz dennoch als ein großes Glück, als sich
jetzt Sera halb zu ihm hindrehte und er somit auch ihrer Vorderseite ansichtig
wurde. Sie warf ihm aus ihren herbstgrünen Augen einen frühlingshaft
glitzernden Blick zu. Gleichzeitig sagte sie: »Du kannst mein Kleid auf den
Boden werfen.«
    Ach ja, das Kleid. Er ließ es fallen und schlüpfte seinerseits aus
der kalten, nassen Wäsche. Dann stieg er zu Sera in die Wanne und zog den
Vorhang vor. Der heiße Wasserstrahl stand freundlich zwischen ihnen. Sie
hielten beide ihre Hände hinein, ohne sich zu berühren. Sie sahen sich an, ganz
ohne Scham. Darum ohne Scham, weil da nämlich nichts war – zumindest nicht auf
diesen ersten Blick –, was den einen am anderen störte. Man konnte sich also
anblicken, ohne schon jetzt das ungute Gefühl zu haben, später einmal mit einem
gewissen Ekel diesem anderen Menschen zu begegnen. Dann, wenn die erste
Leidenschaft verflogen sein und der gleich zu Beginn registrierte Makel immer
deutlicher ins eigene Bewußtsein rücken würde. – Das ist eine unumstößliche
Tatsache, wenngleich die Schönredner es gerne anders hätten und von den inneren
Werten der Menschen reden. Nichts gegen innere Werte, aber sie machen die
Häßlichkeit eines bestimmten Körpers nicht wett. Wie denn auch? Was umgekehrt
nicht heißen soll, daß man aussehen muß, als sei man aus einem Bastelbogen der
Firma Oil of Olaz herausgeschnitten worden. Seras Schönheit war eigenwillig.
Ihr Körper mutete ein wenig unregelmäßig an, ein wenig schief, als sei eins
ihrer schlanken Beine eine Spur kürzer. Oder vielleicht ein Arm länger. Selbst
ihre beiden Brüste wirkten unterschiedlich, die rechte voller und mehr zur
Seite stehend. Doch es hatte nichts Monströses, sondern stellte eine
interessante Abweichung dar, eine individuelle Note, wie vieles an Sera.
Nichts, was ihrem Aussehen abträglich gewesen wäre, sondern selbigem eine
persönliche Signatur verlieh. Ähnlich den vier Muttermalen an ihrem Hals und
der Art und Weise, wie sie an den Dingen vorbeisah, so, als würde sie ein klein
wenig schielen. Man sagt wohl Silberblick dazu.
    Lorenz’ Aussehen war im Vergleich dazu eher

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