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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schwierige Frage stellen: Soll er den zwei Liebenden eine
Fortführung ihres Glücks zugestehen? Soll er sie »gefährliche Abenteuer«
überstehen lassen? Oder sie doch lieber in ein dramatisches Unglück stürzen?
Oder soll er die beiden ganz einfach dem schlichten Auf und Ab eines
durchschnittlichen Alltags überantworten?
    Aber dies ist nun mal kein Roman. Es geschieht, was geschehen muß,
und niemand kann daran etwas ändern.

7  |  Ein halber Vogel und
ein ganzer Toter
    So harmonisch dieser Akt im Stehen auch gewesen war –
getragen von beiderseitigem Einverständnis und beiderseitiger Überzeugung, das
Richtige zu tun, getragen nicht minder vom Umstand passender Körpergröße,
passenden Gewichts und passender Gelenkigkeit (denn die Vorstellung, behäbige
See-Elefanten und grazile Antilopen könnten guten Sex miteinander haben,
entwickeln ja bloß Menschen, denen nichts anderes übrigbleibt) –, so war es
dennoch so, daß nach Beendigung dieser warmen Dusche die Bedürfnisse der beiden
Liebenden auseinandergingen. Lorenz nämlich wäre nur allzugerne mit Sera in ein
ebenso warmes Bett gekrochen, vielleicht um erneut mit ihr zu schlafen,
vielleicht auch nur, um Arm in Arm in einen Schlaf zu sinken, in dem es
hoffentlich keine Rieseneier zu schleppen gab. Sera aber erklärte, sie brauche
jetzt ihre Ruhe.
    Â»Was ist los?« fragte Lorenz. »Was habe ich falsch gemacht?«
    Â»Mußt du erst etwas falsch machen, damit ich allein sein darf?«
    Â»Natürlich nicht, aber…«
    Â»Ja!« Sera wartete. Es war jetzt etwas in ihrem Blick, das Lorenz
neu war. Gewissermaßen ein Schatten im Herbstgrün. Ein Nachtschatten. Wobei es
falsch wäre, zu sagen, ein Schatten stehe für das Böse. Schatten sind sowenig
böse wie Haie. Freilich, Haie sind Jäger, und Schatten sind dunkel. Und im
Dunkeln kann der Mensch schlecht sehen.
    Â»Ich hoffe einfach«, versuchte Lorenz seine Stimme in der Balance zu
halten, »daß es nichts Schlechtes bedeutet, daß du jetzt ohne mich sein
willst.«
    Â»Wie kommst du auf die Idee, mein Schatz?«
fragte Sera.
    Schatz also. Wie wohl das tat, dieses Wort zu hören. »Schatz« ist
ein Begriff aus der Kindheit. Einer der besten. Man denkt an Edelsteine und
Golddukaten und an magische Bücher, in denen steht, wie man diese Golddukaten
in Schokoeis verwandeln kann.
    Â»Gut, Sera, ich gehe jetzt.«
    Â»Magst du morgen zum Abendessen kommen?« fragte Sera.
    Â»Gerne.«
    Â»Acht Uhr«, sagte Sera, gab Lorenz einen Kuß und verschwand sodann
unter einem Frotteehandtuch, mit dem sie ihr blaues Haar trockenrieb. Lorenz
zog sich an und ging.
    Draußen war es fortgesetzt dunkel, ohne daß klar war,
wieviel Schwärze noch vom Gewitter und wieviel bereits vom Sonnenuntergang
stammte. Die Kühle hingegen hatte abgenommen. Es tropfte, und das Licht der
Straßenbeleuchtung spiegelte sich in silbrigen Pfützen. Die ganze Stadt war ein
defekter Eisschrank.
    Lorenz hatte vorgehabt, noch etwas trinken zu gehen und dann ab nach
Hause. Aber er überlegte es sich und betrat nun seinen halbfertigen Laden, den
soeben die Handwerker verließen. Lorenz durchschritt langsam den Verkaufsraum
und betrachtete die leeren Regale, die im Licht der kleinen Spots brav und ruhig
dalagen. Auf die Wolle wartend.
    Nachdem er eine Weile in der Vorstellung des fertigen und mit Ware
bestückten Geschäfts geschwelgt hatte, schaltete Lorenz das Licht aus und trat
in den hinteren Raum, wo er den nach oben versetzten Schalter betätigte. Hier
hing noch immer eine einzige Glühlampe vom Plafond und versetzte den Raum in
ein schwaches, kaltes Licht. Als leuchte ein hartgekochtes Ei. Farbbehälter und
Werkzeug standen herum, Leitern, ein Tapeziertisch und irgend jemandes
Motorroller. In der Rosmalenstraße herrschte absolutes Parkverbot.
    Lorenz fühlte eine drängende Müdigkeit. Am liebsten hätte er sich
auf den Tisch gelegt. Er wollte hier bleiben. Er wollte in Seras Nähe sein.
Wenn sein geographisches Empfinden ihn nicht täuschte, befand er sich genau
über ihrem Schlafzimmer. Nein, nicht ganz. Denn Seras Schlafzimmer, ein recht
schmales Kabinett, zeigte ja hinaus auf den Hinterhof.
    So erschöpft Lorenz auch war, verspürte er ein zwingendes Bedürfnis,
sich exakt unterhalb der Schlafstätte seiner Geliebten zu betten. Und sei es
auf dem harten Boden.

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