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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nicht jeder hatte seine
»Leber« auch eingeschaltet oder machte sich die Mühe, sich zu melden, wenn es
klingelte. Sowenig es sicher war, daß all die Leute, die in ein Handy
hineinredeten, auch wirklich jemanden an der Leitung hatten. Vielleicht redeten
sie mit Geistern oder mit dem Weltall. Oder einfach mit ihrem Handy.
    Lou beeilte sich, ihren massigen Körper nach drinnen zu bewegen.
Wenig später öffnete sich ein Fenster, und die Meisterin der Scheren rief
Lorenz zu, daß Sera und Paul noch nicht zu Hause seien. Um gleich darauf eine
Anweisung zu geben: »Nehmen Sie einen Schirm, und gehen Sie ihnen entgegen! Die
waren im Schwimmbad und kommen mit der Straßenbahn.«
    Lorenz wußte, was gemeint war. In hundertfünfzig Metern Entfernung
lag die Station der Straßenbahn, die jeder benutzte, der ohne Auto oder Rad
unterwegs war.
    Â»Ja, ich mach das«, sagte Lorenz, merkwürdig berührt von der
Tatsache, daß Lou sich ausgerechnet an ihn wendete. Aber an wen auch sonst? Er
stand halt gerade zur Verfügung. Und es war keine Frage, daß demnächst ein
gewaltiger Schauer vom Himmel herunterbrechen würde. Der Sturm hatte bereits
eingesetzt. Es wehte Fetzen von Tageszeitungen und anderen Müll durch die
Straßen. Der Donner rückte näher. In der Ferne zuckendes Licht. Irgendwo stand
der Wettergott und hatte eine dieser lustigen, schwarz und weiß gemusterten
Startflaggen gehoben. Die Ampel stand auf Gelb.
    Lorenz ließ sich von einem der Arbeiter einen Schirm geben und
machte sich sodann auf den Weg. Als er bei der Haltestelle ankam, öffneten sich
die Wolken und entließen ein Meer von Hagelkörnern. Gewaltige, schwere Dinger,
im Stil dieser Golfbälle, die Menschen verletzen. Es war ein richtiges
Bombardement. Lorenz stand unter dem durchsichtigen Dach der Station und sah auf
eine Welt, die hinter der englinierten Fläche fallender Körper verschwand.
Körper, die wie Zeichen waren, Buchstaben, Symbole, nur zu rasch unterwegs, als
daß man hätte sagen können, sie seien griechisch oder japanisch. Es erinnerte
an jene bewegte Struktur aus dem Film Matrix . Nur,
daß die Zeichen nicht grün waren, sondern weiß.
    Durch die Phalanx dieser flirrenden Wand brach nun die Straßenbahn
und hielt an.
    Â»Hier!« rief Lorenz, als er Sera und Paul sah. Er öffnete den
Schirm, bewegte sich rasch auf die beiden zu und gab ihnen Schutz. Gemeinsam
flüchtete man unter das Dach der Haltestelle.
    Lorenz und Sera preßten den kleinen Paul zwischen sich und erzeugten
solcherart eine Schale. Eine Schale aus Mann und Frau. Also eine ausgesprochen
schöne Schale. Zusätzlich bildete der schräggestellte Schirm eine äußere Mauer.
Welche auch nötig war, da der kräftige Wind die Hagelkörner unter das Dach
trieb. Es war so laut, daß man sich nur schwer unterhalten konnte. Aber ohnehin
war in dieser Situation nichts zu besprechen. Die Welt war jetzt wieder ganz
Natur. Und das wohl wichtigste Prinzip in der Natur heißt: warten, bis es
vorbei ist. Während ja Zivilisation genau im Gegenteil besteht, in der
Unfähigkeit zu warten. Außer in der Kunst. Denn Kunst kommt bekanntermaßen von
Warten. Ideen lassen sich nicht antreiben, weder durch Alkohol noch durch
Benzin.
    Es dauerte zehn lange Minuten, in denen die Welt wenigstens ein
bißchen unterging, dann nahm die Heftigkeit wieder ab. Der Hagel wurde von
einem starken Regen ersetzt, das Gewitterbrüllen entfernte sich. Jedenfalls war
es nicht mehr so, als stehe man in der ersten Reihe eines dieser
Schönheit-durch-Lärm-Konzerte. Dafür aber in der ersten Reihe einer
Delphinshow. Der unter das Dach gepreßte Regen brachte es nämlich mit sich, daß
der Mann und die Frau trotz des Schirms bald vollständig durchnäßt waren, wenn
schon nicht das perlenartig zwischen ihnen eingeklemmte Kind. Welches
allerdings fror. Mit dem stürmischen Niederschlag hatte sich die Luft deutlich
abgekühlt. Der Wind fuhr herum und verteilte die Kälte derart gleichmäßig, als
handle es sich um Brot für die Welt.
    Â»Wir sollten los und den Kleinen nach Hause bringen«, meinte Lorenz.
    Sera nickte. Man machte sich auf den Weg, marschierte durch die
winterlich weißen Straßen, trat über das Eis gehäufter Körner oder geriet in
tiefe Pfützen. Nach wie vor dominierte die Natur. Der Eindruck einer
Schneelandschaft wechselte zu dem

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