Gewitter über Pluto: Roman
konventionell, doch
erinnerte sein Körper bei aller Muskularität nicht an eine Sportart. Ein
Körper, dem man den Sport auch wirklich ansieht, wirkt immer lächerlich. Man
braucht nur Schwimmer zu betrachten: völlig verbaut. Am schlimmsten sind
Stemmer und am allerschlimmsten Bodenturnerinnen. Und es ist wahrscheinlich ein
Glück, daà man von Bogenschützen und Dressurreitern so wenig nackte Haut zu
Gesicht bekommt. Nein, Lorenzâ Sportlichkeit schien ohne Sport auszukommen.
Eher so, als verdanke er seinen wohlgestalteten Körper dem vielen Bücherlesen.
Oder dem Hören klassischer Musik.
Wie auch immer. Sera und Lorenz sahen sich an und empfanden weder
Zweifel noch Unbehagen. Lorenz lenkte seinen Arm in den warmen Strahl und faÃte
Sera an der Schulter. Er zog sie wie durch einen Spiegel zu sich heran. Selbst
ohne Schuhe besaà sie genau die richtige GröÃe für einen KuÃ. Zudem war es
gewissermaÃen so, als stehe der Kuà bereits zwischen ihnen und als würden sie
also weniger ihre Lippen aneinanderlegen, sondern vielmehr diesen Kuà küssen,
diesen Punkt in der Luft, diese kleine, ungemein flache Fläche, welche seit
langer Zeit hier gestanden und darauf gewartet hatte, von beiden Seiten berührt
zu werden. â Es gibt Küsse, die sind purer, dummer Zufall und nicht selten der
Beginn groÃer Qualen. Und es gibt Küsse, die einem intelligenten Plan zu
verdanken sind. Das hier war so ein KuÃ.
Die beiden hielten sich jetzt fest umschlungen. Ein
Doppelsternsystem. Einer den anderen umkreisend. Einer den Ring des anderen
bildend. Es herrschte tiefe, echte Harmonie. Keine Eroberung, kein Krieg, keine
Supernova, deren logisches Ziel darin besteht, alles in der nächsten Umgebung
zu verschlucken. Sie küÃten sich lange und ausgiebig, diesen einen in der Luft
stehenden Punkt immer wieder mit neuer Energie versehend. Ja, sie spendeten
Energie, und die Energie kam doppelt zurück, erfüllte sie mit Leidenschaft.
Lorenz schob seine Hände unter die beiden Pohälften seiner Geliebten und hob
sie zu sich hoch. Sera fühlte sich sehr viel leichter an, als sie war. Sie
griff nach Lorenzâ Glied und führte es so locker und einfach in sich, als
bediene sie einen Vibrator. â Das mag komisch klingen, aber in Wirklichkeit
fehlt dem meisten Geschlechtsverkehr jene Selbstverständlichkeit und milde
Empathie, die etwa bei der Onanie oder im Umgang mit künstlichen
Geschlechtsteilen kein Problem zu sein scheint.
Lorenz schob Sera mit dem Rücken gegen die Kachelwand und drang mit
einer Rhythmik, die nun doch ein wenig seiner sexuellen Routine zu verdanken
war, in Sera ein. Aber daran war in diesem Moment wirklich nichts Schlechtes.
Sera verstellte den Duschhahn, sodaà das Wasser zwischen ihre Körper drang und
sie beide mit einer warmen Hülle versah. Sie liebten sich inniglich und
tauschten nicht nur Körpersäfte aus, so gesund das sein mag, sondern auch ihre
Herzen und ihre Seelen. Verschmelzen ist etwas anderes. Verschmelzen ist eine
Unmöglichkeit. Menschen sind kein Metall. Aber Austausch ist gleichfalls eine
gute Sache. Mehr kann man nicht verlangen. â Und eingedenk einer der
häÃlichsten Formulierungen im radikalpornographischen Bereich, nämlich jemandem
die Seele aus dem Leib zu ficken, kann man im Falle von Lorenz sagen, daà er
vielmehr die eigene Seele so sachte wie bestimmt in Seras Körper ablegte. Nun,
seinen Samen freilich ebenso. Denn die Frage nach einer Verhütung war in keiner
Sekunde durch die Köpfe der beiden gegangen. Sie vertrauten sich. Und sie
vertrauten jenem Plan, der sie zusammengeführt hatte und welcher sicher nicht
darin bestehen würde, daà einer den anderen mit einer Krankheit ansteckte. Und
daà dies alles ohne ein einziges Wort abgelaufen war, störte gleichfalls nicht.
Manches läÃt sich sowieso nicht sagen.
Nachdem Lorenz wieder aus Sera geschlüpft war und sie mit
einer etwas übertriebenen Vorsicht abgestellt hatte (als wäre sie bereits
schwanger), standen die beiden nebeneinander im Sprühregen des in viele
Tröpfchen gespaltenen Wassers und hielten sich an den Händen. Sodann trockneten
sie sich ab, cremten sich ein und waren hernach so sauber und frisch und warm
und glücklich, wie man es zwei guten Menschen in dieser Welt nur wünschen kann.
Wäre das hier ein Roman, dann würde sich jetzt für den
Autor eine
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