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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Jedenfalls sah er sich nun nach einem Gerät um, mit dem
es gelingen konnte, jene Metalltüre zu öffnen, die ja noch immer verschlossen
war. Er fand zwar kein Brecheisen, aber in einer der beiden Werkzeugkästen
einen Hammer mit einer spitz zulaufenden Nagelklaue, die ihm ebenfalls geeignet
schien. Er würde halt keinen Nagel ziehen, sondern eine ganze Türe.
    Lorenz fügte die Spitze auf Höhe des Schlosses hinter die Kante und
drückte den Griff zur Wand. Wie bereits erwähnt, war er kein Schläger, doch
kräftig war er schon. Im Bankdrücken schaffte er neunzig Kilo. Und er schaffte
diese Türe. Nicht gleich und auch nicht, als würde er Butter schneiden, aber
nach mehreren Versuchen und nachdem er mit einem Meißel das alles andere als
massive Mauerwerk gelockert hatte, brach er die Türe mitsamt dem ganzen Schloß
auf. Gut, er hatte ohnehin vorgehabt, diese verrostete Platte entfernen zu
lassen. Er öffnete sie jetzt ganz und trat in den dunklen Raum. Das Fehlen
eines Fensters überraschte ihn nicht, denn hätte es existiert, wäre es ihm
bereits – von der Hofseite her, vom Dschungel aus – aufgefallen. Und das war es
nun mal nicht. Er griff zur Seite, einen Lichtschalter suchend. Als er keinen
fand, ging er in die Knie. Und tatsächlich: Auch hier befand sich der Schalter
tief unten, im Zwergen- und Wichtelbereich. Er legte den kleinen Hebel um. Zwei
Neonröhren sprangen in ihrer typisch zögerlich-nervösen Art an und erhellten
den kleinen Raum.
    Lorenz hatte einen Abstellraum erwartet, doch was er jetzt sah, war
eine sauber eingerichtete Werkstatt. Die Werkstatt eines Paläontologen oder
wenigstens Hobbypaläontologen. So viel verstand Lorenz von der Sache, um die
Gerätschaft auf dem Tisch, die zahnarztartige Ausrüstung, die Vergrößerungslampe,
die Gesteinsbrocken mit den spiraligen Gehäusespuren ewig alter Tintenfische,
um das alles richtig einzuordnen. Ja, hier war der Arbeitsplatz eines Menschen
zu sehen, der aus alten Steinen alte Formen heraushämmerte und fräste und blies
und pinselte.
    Lorenz schaltete die Lampe an und betrachtete durch das
Vergrößerungsglas einen flachen Brocken von der Größe einer Kinderhand, auf dem
zu Dreiviertel eine Struktur freigelegt war. Etwas Pflanzliches. Vielleicht
auch ein Wurm. So gut kannte sich Lorenz nun wieder nicht aus, um Seelilien von
Würmern oder geringelten Exkrementen auseinanderhalten zu können.
    Sein Blick ging nach oben, zur Wand hin. Auf einem Metallbrett
waren, mit kleinen Magneten befestigt, mehrere handschriftliche Notizen
fixiert. Geschrieben in einer unleserlichen Schrift, ergänzt von Zeichnungen,
die nicht minder schwer zu entschlüsseln waren. Sehr genialisch. Das einzig
halbwegs Konkrete war eine Fotografie, auf der ein Wesen abgebildet war, das
Lorenz augenblicklich an die Kreatur erinnerte, welche ein verrückter Schweizer
für den Film »Alien« entworfen hatte. Vor allem der dünne, lange, wie eine
Peitsche angehobene Schwanz, aber ebenso die schlanke Gestalt, die Krallen, der
helmartig glatte Schädel gemahnten an jenes cineastische Ungeheuer. Doch das
Wesen auf dem Foto war kein Ungeheuer, sondern ein ehemaliges Missing link,
wenngleich man die Auffassung vertreten kann, daß alle Zwischenformen etwas
Monströses und Gespenstisches an sich haben. Viel weniger einen Übergang
verkörpern als eine gruselige Unentschlossenheit, ein Verharren im Zustand des
Halbfertigen. – Wäre es möglich, daß der Homo sapiens in ferner Zukunft als
Bindeglied zwischen Vormenschen und Nachmenschen galt? Oder vielleicht zwischen
Vormensch und Maschine?
    Lorenz drehte das Foto um und wurde durch einen Aufdruck in der
linken oberen Ecke davon in Kenntnis gesetzt, daß es sich bei der Abbildung um
das Fossil eines Urvogels handelte, eines Archaeo-pteryx lithographica, und
zwar um das sogenannte Solnhofer Exemplar. Auf der freien Schreibfläche hatte
jemand mit einer Schrift, die um einiges leserlicher war als die auf den
Notizblättern, folgenden Rat erteilt:
    Â 
    Keine
Angst vor alten Tieren!
    Mehr stand da nicht. Kein Gruß, kein Name. Allerdings war
die Karte frankiert und abgestempelt und wies eine Adresse auf, die der Bäckerei Nix .
    Lorenz betrachtete nochmals die Abbildung auf der Vorderseite. Der
Bezug zu einer Echse oder eben einem Alien erschien ihm sehr viel offenkundiger
als zu einem Vogel. Kein Wunder,

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