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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auch das Privileg, ihren Namen zu
erwähnen. Dachte Lorenz.
    Doch zurück zum Geschäft. Für ein Ladenlokal gilt das gleiche wie
für einen Planeten. Wenn man will, daß dort richtig was los ist, braucht man
eine Atmosphäre. Und zwar im Sinne einer Lufthülle, also einer gleichzeitig
schützenden wie schmückenden Umschalung. Eine Atmosphäre, die sich bei einem
Geschäft aus der Fassade und der Auslage zusammensetzt. Und nicht zuletzt aus
dem Hinweis auf den Namen des Lokals. Etwas, das Planeten abgeht. Weil bei
denen ja nie draufsteht, wie sie heißen.
    Lorenz entschied sich dafür, den Schriftzug Plutos
Liebe mittels leuchtender Neonröhren erstrahlen zu lassen. Den Hinweis
einiger Freunde, solcherart einen Bezug zu den Dekorationen des Rotlichtmilieus
und somit einen Bezug zur eigenen pornographischen Vergangenheit herzustellen,
schlug Lorenz in den Wind. Zu Recht. Denn dank der ausgesprochen nüchternen und
modernen Fassadengestaltung – zwei leicht auskragende, silberweiße Elemente,
zwischen denen die Eingangstüre versteckartig dunkel, fast schwarz blieb –
sowie dem Umstand, daß die Neonröhren von Buchstabe zu Buchstabe die Farben
wechselten, ließ sich nicht die geringste Verbindung zu einer Bar oder einem
Sexkino herstellen. Nein, es sah wirklich gut aus, wie der Name da aus der
Helle seines Hintergrunds herausleuchtete, selbst an grellen Tagen noch. Auch
paßte diese zeitgemäße Gestaltung überraschend harmonisch in das historisch
geprägte Umfeld, sehr viel mehr als der Rest des Hauses. Selbst die älteren
Bewohner der Straße schienen von Anfang an dem Projekt ihren Segen zu geben.
Man kann sagen, daß offenbar schon der Name des Geschäfts die Leute mit Liebe erfüllt e. – Na, alle natürlich nicht. Wenn Lorenz
an Lou Bilten vorbeikam, giftete sie ihn in der bekannten Manier an. Was erneut
dafür sprach, daß nicht sie es gewesen war, die den Brief verfaßt hatte. Einen
Brief, den Lorenz nach einer Woche Arbeit beinahe vergessen hatte. Allerdings
war er in dieser Zeit Sera gleichfalls selten begegnet, hatte sie immer nur
kurz gesehen, kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Er wollte ihr ein wenig Zeit
geben. Aber auch Zeit hat selbstverständlich seine Grenzen, so wie man sagt,
Geduld hätte seine Grenzen.
    Zu Beginn der zweiten Arbeitswoche bildete sich eine solche Grenze.
Es war Dienstag abend. Soeben waren die kleinen, kreisrunden Beleuchtungskörper
in den Plafond von Plutos Liebe eingelassen worden.
Sie bildeten zusammen ein System, das an die Höhenlinien einer Landkarte
erinnerte. Ein System, das sich auf dem bläulichgrünen Parkettboden
widerspiegelte und es den Benutzern des Raums erleichterte, die Position zu
finden, die sie im Sinne jenes zuvor erwähnten Molekülmodells aufzusuchen
hatten. Daneben war natürlich auch der simple Vorteil gegeben, den Raum
wirkungsvoll zu illuminieren. Was gerade jetzt ein Vorteil war, da nach Tagen
lästiger Schwüle ein Gewitter nahte. Ein Gewitter, das eine beträchtliche
Dunkelheit vorausgeschickt hatte. Es war so finster geworden, daß Lorenz und
die Arbeiter auf die Straße getreten waren, um nachzusehen, ob nicht etwa ein
nahender Meteor den Himmel verdüsterte.
    Â»Teufel, ist das schwarz!« sagte jemand.
    Bekanntlich ist kein Volk so sehr vom Weltuntergang überzeugt wie
die Österreicher. Sie erwarten diesen Moment mit einer Art von Bange, der die
Lust nicht abgesprochen werden kann. Wie am Ende eines sehr langen Walzers,
wenn man kaum noch seine Beine spürt und der Schmerz in ein Gefühl der Freiheit
übergeht. Man fliegt quasi in den Tod hinein.
    Â»Haben Sie Sera gesehen?« Es war Lou, die vor Lorenz stehengeblieben
war und ihn dazu zwang, seinen Blick von der Schwärze des Himmels zu nehmen.
    Â»Wie meinen Sie?«
    Â»Wie ich es sage. Ob Sie sie gesehen haben, wenn Sie schon den
ganzen Tag hier herumstehen.«
    Lorenz seufzte. Dann erklärte er, Sera nicht gesehen zu haben.
    Â»Na, vielleicht ist sie ja schon zu Hause«, sagte Lou. Und, zu sich
selbst sprechend: »Wofür haben wir eigentlich Handys, wenn keiner rangeht.«
    Richtig. Das war in der Tat ein Problem. Diese behauptete
Erreichbarkeit von jedermann, die eben nicht stimmte. Fast alle besaßen so ein
häßliches kleines Ding, das aussah wie ein glänzendes, flachgeklopftes Stück
Rindsleber. Und jeder gab seine Nummer weiter. Aber

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