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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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denn bei diesem Exemplar fehlten die Federn,
fehlte ein deutlich erkennbarer Schnabel, die Beine muteten viel zu lang an,
dazu kam der Eindruck einer aufrechten Haltung. Dabei war der Vogel ganz sicher
nicht in aufrechter Haltung gestorben, aber so sah es nun mal aus.
    Ohne nur eine Sekunde über Sinn oder Unsinn seiner Handlung
nachzudenken, steckte Lorenz die Karte ein. Dann blickte er sich weiter um. In
einer Ecke des Raums war ein modernes Waschbecken montiert. Rechts davon ein
schmales Regal mit Fachliteratur, links ein Stahlschrank. Am anderen Ende des
Raums stand ein Bett. Ein Bett für einen Mann oder eine Frau. Unmöglich, daß
zwei Personen darauf hätten Platz finden können. Vielmehr handelte es sich um
die Liegestatt eines arbeitenden Menschen, kein Himmelbett, ein Erdenbett. Und
genau als einen solchen Menschen empfand sich Lorenz im Moment, auch wenn er an
diesem Abend eigentlich nicht gearbeitet hatte. Aber das Gefühl der Arbeit und
der aus ihr resultierenden Erschöpfung steckte ganz tief und mächtig in seinen
Gliedern. Er überlegte nicht weiter, schaltete das Licht aus und ließ sich auf
das mit einer Wolldecke bespannte Bett fallen. Er war so rasch eingeschlafen,
daß selbst der Tod keine Chance gehabt hätte, ihn einzuholen.
    Der Schlaf, der ihn ereilte, war ein Schlaf ohne Eier. Ein Schlaf,
als treibe jemand kopflos durchs Weltall.
    Als Lorenz erwachte, war da weiterhin die Dunkelheit.
Natürlich war sie das, da weder in diesem noch im benachbarten Raum ein Fenster
den frühen Tag – einen Tag, den die Uhr verkündete – hereingelassen hätte. Das
wenige Licht stammte von der geduldig brennenden Glühlampe im Nebenraum. Nun,
dieses wenige Licht war es ja auch nicht, was Lorenz geweckt hatte. Sondern ein
Geräusch. Nein, kein Geräusch, vielmehr ein Geruch. Aber eben ein Geruch von
der Art eines Geräuschs, eines heftigen, durchdringenden Geräuschs. Lorenz
setzte sich auf.
    Â»Was ist das?« fragte er laut. Seine Füße standen in einer Lache.
Klebrig, wie bei Dispersion. Lorenz sah auf den Boden. Farbe war das nicht.
Zumindest keine weiße.
    Er brauchte ein paar Sekunden, dann begriff er, daß er in einer
Pfütze von Blut stand. Eigenes Blut? Er spürte nichts, keine Wunde oder so. Und
das hätte ja auch eine ziemlich große Wunde sein müssen, um diesen ganzen See
zu bewerkstelligen.
    Er war noch genügend betäubt von seinem schweren Schlaf, um nicht
gleich in Panik zu geraten. Statt dessen erhob er sich, trat aus der
Flüssigkeit heraus und schritt hinüber zum tiefgelegten Lichtschalter.
    Tk, Tk, Sssrrupa! Die Neonröhren sprangen an.
    Ja, das war eine schöne Sauerei. In der Tat Blut, auch wenn es
dunkler war, als sich Lorenz das gedacht hatte, welcher Blut ja nur vor dem
hellen Hintergrund der eigenen Haut kannte, nicht jedoch vor dem Hintergrund
eines schwärzlichen Steinbodens. Und nicht in dieser Menge. Die Lache führte
unter dem Bett hervor und reichte beinahe bis zur Mitte des Raums.
    Gleich nachdem Lorenz den Lichtschalter betätigt hatte, war er
wieder aufgestanden. Um nun aber erneut in die Knie zu gehen und mit einer
Schnelligkeit – mit derselben, mit der man ein Kuvert öffnet, um rasch die
schlechte Nachricht bestätigt zu bekommen – unter das Bett zu sehen.
    Ganz klar, wo Blut ist, braucht es eine Quelle. Und diese Quelle
befand sich tatsächlich unterhalb des Gestells, in dem Lorenz die Nacht
verbracht hatte. Er rutschte näher, erneut in die Lache geratend, jetzt auch
mit den Händen. Aber er merkte es kaum, stierte gebannt auf die Stelle. Dort
lag ein Mensch. Und als Lorenz jetzt nahe genug war, erkannte er die Wunde am
Hals, eine mächtige Spalte. Der Mann war tot. Sein Mund stand offen wie eine
kleine Falle. Eine Fliegenfalle. Doch keine Frage, dieser Mann hier würde
nichts mehr fangen.
    Lorenz richtete sich halb auf. Endlich bemerkte er das viele Blut,
das nicht bloß an seinen Schuhen klebte. Seine Hände waren voll davon. Er
wischte es an der Hose ab. Na, fehlte nur noch, daß er sich das Zeug ins
Gesicht schmierte. Er benötigte ein paar tiefe Atemzüge, dann kam er so weit
zur Vernunft, nicht weiter fremdes Blut über die eigene Kleidung zu verteilen,
ging vollständig in die Höhe und trat hinüber zum Waschbecken, um sich so gut
als möglich zu säubern. – Aber es ist schon wie im Film. Blut ist nicht nur ein
besonderer

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