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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sagte:
»Nein, ich kenne ihn nicht.«
    Â»Wenn ich Sie richtig verstehe«, faßte Stirling zusammen, »dann
haben Sie hier geschlafen. Und als Sie aufgewacht sind, lag dieser Ihnen
unbekannte tote Mann unter dem Bett.«
    Â»Wie ich schon sagte, zuerst habe ich nur das Blut gesehen. Denn ich
gehöre nicht zu denen, die gleich nach dem Aufwachen den Kopf unters Bett
halten, um nachzusehen, ob sich da jemand versteckt.«
    Â»Ein Schlafzimmer ist das hier aber nicht«, äußerte Stirling und
drehte seinen hübschen Schädel von der linken zur rechten Schulter. Überhaupt
konnte man sagen, daß mit Lorenz Mohn und Stavros Stirling praktisch zwei
Männer aufeinandertrafen, die wie im Märchen darum konkurrierten, der Schönste im
Land zu sein. Obgleich diesbezüglich kein einziges Wort fiel. Man war nicht im
Märchen, sondern im Krimi. Beziehungsweise in einer von Krimielementen
beherrschten Wirklichkeit.
    Lorenz erklärte nun, warum er in diesem Raum genächtigt hatte. Wobei
er die Wahrheit halbierte und die eine Hälfte davon wegließ. Sprich, er ließ es
unerwähnt, mit Sera Bilten geduscht zu haben. Statt dessen berichtete er, am
Abend zuvor in seinem zukünftigen Geschäft gewesen zu sein und in der Folge –
wie schon längst geplant – die Metalltüre aufgebrochen und schließlich das
Faktum eines Bettes genutzt zu haben, um seiner beträchtlichen Müdigkeit
nachzugeben.
    Â»Waren Sie denn nicht überrascht, eine solche Werkstatt
vorzufinden?« fragte Stirling.
    Â»Der Tote heute morgen hat mich mehr überrascht«, antwortete Lorenz.
    Â»Sie werden verstehen, daß wir Ihre Fingerabdrücke benötigen.«
    Â»Natürlich. Umso besser, wenn Sie dann feststellen, daß ich den
Toten tatsächlich nicht angefaßt habe. Nicht auszudenken, ich hätte versucht,
seinen Puls zu fühlen.«
    Â»Wäre nicht so schlimm«, bemerkte Stirling. »Es ist keineswegs unser
Stil, als Mörder immer den Nächstbesten zu nehmen. Nur dann, wenn der
Nächstbeste auch wirklich der Mörder ist.«
    Â»Das beruhigt mich.«
    Â»Das sollte es wirklich«, sagte Stavros Stirling und lächelte mit
seinen grünen, zur Mitte hin ins Blaue wechselnden Augen. Er war Grieche, ein
grünblauäugiger Grieche, dessen Vater aus England stammte. Er hatte eine
perfekte Schulbildung genossen und dabei auch Deutsch erlernt. Diesen
Kenntnissen war es zu verdanken, daß er seit einem Monat im Dienst der
österreichischen Polizei stand. So wie man früher vielleicht nach Afrika
gegangen war. Nicht, daß die Griechen den Auftrag hatten, die österreichische
Polizei zu reformieren – das wäre gewesen, als versuche ein Grottenmolch einem
Maulwurf das Sehen beizubringen –, aber es war doch so, daß auch die
griechische Regierung gewisse Interessen in Österreich nicht nur auf
diplomatischem Wege vertrat. Es hieß ja immer, Europa würde zusammenwachsen.
Nun, in gewissen Bereichen tat es das tatsächlich.
    Der österreichische Teil dieser Paarung, der weißhaarige
Chefermittler, hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen. Er war weniger
korrekt gekleidet als sein griechischer Assistent, eher bohemienhaft, das Sakko
schmuddelig, während die dünne, schwarze Krawatte wie eine lange Zunge aus dem
schmalen, faltigen Hals herauszuhängen schien. Der ganze Mann war schmal. Dank
Spitzbart und dem etwas hochstehenden Haar besaß er ein stark gestrecktes
Dreiecksgesicht. Er erinnerte an Ezra Pound, den Autor der so berühmten wie
extrem verschlüsselten Cantos-Gedichte, diesen Wegbereiter der Moderne, dessen
Kapitalismuskritik ihn schnurstracks zu einem ausgiebigen und inniglichen Tanz
mit dem italienischen Faschismus verführt hatte.
    Jetzt war also nur noch die Frage, ob der ältliche Hauptkommissar,
welcher den Namen Boris Spann trug, gleichwohl in seinem Denken und Reden eine
Ähnlichkeit zu jenem amerikanischen Dichterheroen aufwies. Aber das ließ sich
im Moment nicht feststellen, da Spann weiterhin seinen Mund nicht auftat. Er
stand herum, betrachtete die Dinge, nickte vielleicht oder kämpfte auch nur mit
der Müdigkeit oder dem Alter oder beidem, jedenfalls sagte er kein Wort. Es war
einzig und allein Stirling, der hier sprach, also nicht nur Lorenz befragte,
sondern ebenso den Leuten von der Spurensicherung sowie dem bald erschienenen
Gerichtsmediziner Anweisungen gab.

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