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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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gehabt?«
    Â»Meine Nachbarin«, sagte Lorenz und erklärte die Umstände. »Aber sie
hat nur das Kuvert angefaßt.«
    Â»Gut. Ich werde das überprüfen lassen. Im Moment findet gerade die
Obduktion der Leiche statt. Am Nachmittag wissen wir mehr. Sie werden
verstehen, daß ich Sie bitten muß, sich zu unserer Verfügung zu halten.«
    Â»Sie meinen, ich soll froh sein, nicht eingesperrt zu werden.«
    Â»Nun, im Gefängnis ist der Kaffee ganz sicher nicht so gut wie hier
bei uns. Im übrigen können Sie davon ausgehen, daß wir unser Handwerk verstehen
und nicht Leute einsperren, nur um unsere Zellen vollzukriegen. Unsere Zellen
sind voll genug.«
    Â»Dann werde ich also auf Ihr Handwerk vertrauen«, sagte Lorenz.
    Stirling brachte ihn zur Türe, wo bereits ein Beamter wartete.
Lorenz drehte sich nochmals um und schaute zu dem alten Kommissar. Spann
blickte soeben gebannt auf einen vertrockneten Kaktus. Solcherart bildete er im
Gegenlicht einen dunklen, gebogenen Flecken. Mann und Kaktus. Lorenz hätte
gerne gefragt, welchen Beitrag dieser stumme Mensch zu der Ermittlung
eigentlich beisteuere. Aber er ließ die Frage in seinem Mund, fügte sie zu den
anderen ungestellten Fragen, die wie Speisereste zwischen seinen Zähnen
steckten. Es sind diese Fragen, die unsere Zähne ruinieren. Karies ist bloß ein
anderes Wort dafür.

9  |  Zu ebener Erde und im
zweiten Stock
    Um acht stand Lorenz Mohn wie vereinbart vor der Türe Sera
Biltens und drückte die Klingel. Denn warum sollte er auf das Abendessen
verzichten? Warum sollte er auf die Möglichkeit verzichten, seine Geliebte zu
sehen?
    Die Tür ging auf und gab den Blick frei auf die Frau aller Frauen.
Sie trug ein elegantes Kleid, das wie ein kleines Gedicht auf ihrer Haut lag.
Ein Gedicht weniger Worte, ohne gleich in eine japanische Sparsamkeit zu
verfallen. Die Japaner übertreiben alles, den Krieg, die Tradition, die
Moderne, das Essen und eben die Sparsamkeit.
    Â»Schön, mein Schatz, daß du gekommen bist«, sagte sie, gab ihm einen
Kuß auf die Wange, nahm seine Hand und führte ihn in eine Wohnung, von der er
eigentlich nur die Dusche wirklich kannte.
    Es sollte sich nun herausstellen, daß er sich bezüglich der Lage von
Seras Schlafzimmer gründlich geirrt hatte. Es befand sich an völlig anderer
Stelle. Dort, wo Lorenz es vermutet hatte, war ein kleiner Arbeitsraum, ein
Nähzimmer, in dem auch Dinge wie Bügelbrett und Wäscheständer untergebracht
waren. Aber halt kein Bett. Somit war es einer Fehleinschätzung zu verdanken,
daß Lorenz am Abend zuvor eine Metalltüre aufgebrochen und die Werkstätte eines
Mannes entdeckt hatte, dem uralte Tiere wichtiger gewesen waren als frische
Semmeln.
    Lorenz fragte sich, ob alles anders gekommen wäre, hätte er diesen
Irrtum nicht begangen. Er legte die Frage zu den anderen Fragen, nicht zu denen
zwischen den Zähnen. Eher zu denen, die im Magen nisten.
    Nachdem Lorenz sich durch die in warmen Farben gehaltene,
gemütliche und für eine einzelne Person recht große Wohnung hatte führen
lassen, nahm er im Eßzimmer Platz, wo er eine Flasche in die Hand gedrückt
bekam, die er öffnen sollte. Erst jetzt fiel ihm ein, weder Wein noch Blumen,
noch sonst was mitgebracht zu haben. Sondern, wie das im Scherz oft gesagt
wird, bloß sich selbst. Aber darum ging es – jenseits der Scherze – doch auch
wirklich. Bei schlechten Gästen nützte selbst der beste Wein nichts. Und bei
guten kam es nicht darauf an, daß irgendein Florist oder Vinothekbetreiber
seinen Reibach gemacht hatte. – Dies einsehend, ersparte sich Lorenz eine
Entschuldigung, entkorkte zügig die Flasche und schenkte ein.
    Â»Am Nachmittag war die Polizei hier«, erzählte Sera, während man
weißes Brot in eine mit Okraschoten versetzte Sauce tauchte. »Ein gewisser
Stirling. Bißchen komisch, daß die jetzt Engländer hier arbeiten lassen.«
    Â»Er ist Grieche mit englischen Wurzeln.«
    Â»Er hat sich nach uns erkundigt.«
    Â»Und was hast du ihm gesagt?«
    Â»Ich bin ein bißchen vulgär geworden und hab erklärt, ich würde mich
von dir vögeln lassen.«
    Â»Er hat dich doch sicher gefragt, warum du mich hernach aus der
Wohnung geworfen hast.«
    Â»Geworfen? Das scheint wirklich ein Problem für euch Männer zu sein:
Frauen, die hin und wieder alleine

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