Gewitter über Pluto: Roman
sein wollen. Herr Stirling hat es
genausowenig verstanden. â Ein schöner Mann übrigens. Fast so schön wie du.«
»Willst du mich eifersüchtig machen?«
»Das wäre das vorletzte, was ich tun möchte.«
»Und das letzte?«
»Ãber das letzte und das erste sollte man nie sprechen.«
»Und über den Toten unten im Laden?« fragte Lorenz. »Sollte man
darüber sprechen? Ich meine, jetzt beim Essen.«
»Ich habe damit kein Problem«, erklärte Sera.
»Kanntest du diesen Mann, diesen Nix?«
»Klar kannte ich ihn. Er war der Bäcker im Haus. Wir fanden es
traurig, als er zusperrte. Der Semmeln wegen. Er selbst war eher unsympathisch.
Oft mürrisch. Hatte wohl bloà seine alten Tierknochen im Sinn. So geht die Welt
unter. Anstatt Brot für die Lebenden zu backen, was Totes ausgraben.«
»Na, jetzt kann er sich selbst ausgraben«, meinte Lorenz.
Sera lachte. Aber es war kein richtiges Lachen, auch kein
verstecktes. Ein königliches. Das Lachen von Leuten, die herrschen. Sera war
eine Herrscherin, allerdings modern und klug. Sie beendete ihr Lachen in der
Art, wie man einen Schminkspiegel zuklappt, dann fragte sie Lorenz, welches
Gefühl das für ihn gewesen sei, als er die Leiche entdeckt hatte.
»Unwirklich. Ich war nicht einmal richtig geschockt, trotz des
vielen Bluts. Wäre ich geschockt gewesen, wäre ich aus dem Raum gelaufen. Statt
dessen kriech ich Depp am Boden rum, um mir einen Ãberblick zu verschaffen.
Wirklich idiotisch! Jetzt wollen die von der Polizei natürlich wissen, warum
ich so viel Blut an den Händen hatte. Ein Glück, daà ich den Toten nicht
angefaÃt habe.«
»Dieser Stirling«, sagte Sera, »hat etwas von einer Warnung erzählt,
die du erhalten hast.«
»Jemand wollte verhindern, daà ich das Geschäft anmiete.«
»Das ist aber nicht alles, oder?«
»Es steht da geschrieben, ich soll mich von dir fernhalten. Du
scheinst einen ziemlich rabiaten Verehrer zu haben. Irgendeine Ahnung, wer das
sein könnte?«
»Nein, wirklich nicht«, antwortete Sera.
»Jedenfalls werde ich einen Teufel tun. AuÃerâ¦na, auÃer, du selbst
willst es so. Ich meine, angesichts dieser ganzen blutigen Geschichte.«
»Ja, schön dumm von mir«, erkannte Sera, »hier mit dir zu sitzen.«
Gleichzeitig gab sie zu bedenken: »Wobei wahre Liebe
eigentlich bedeuten müÃte, dich augenblicklich rauszuwerfen. Um dich nicht
weiter in Gefahr zu bringen. Aberâ¦Â«
Lorenz folgerte: »Aber ganz so groà ist deine Liebe nun auch wieder
nicht.«
Ihm war unklar, wie ironisch er das meinte. Und ob überhaupt
ironisch.
Sera postulierte: »Liebe, die aus Verzicht besteht, ist religiöser
Blödsinn. Nein, wir werden zusammenbleiben und halt ein wenig vorsichtig sein.
Damit du nicht genauso unter einem Bett endest. â Das war SpaÃ! Ich glaube
nicht, daà der Tote und dieser Brief an dich irgendwie zusammenhängen.«
Lorenz hingegen glaubte das durchaus.
Das glaubte übrigens auch Stavros Stirling, der zur
gleichen Zeit, da Lorenz und Sera ihr Nachtmahl einnahmen, sich zwei Stockwerke
unter ihnen befand, in Nixâ alter Werkstatt, um nochmals den Tatort zu
untersuchen. Er betrachtete den Flecken am Boden, das Blut, das der Steinboden
aufgesaugt hatte, betrachtete das Fossil auf der Arbeitsfläche und die
gepinnten Notizblätter darüber. Natürlich fiel ihm die eine leere Fläche auf,
doch eine Lücke konnte ja auch von sich aus bestehen und brauchte nicht zu
bedeuten, daà etwas fehlte. Dies war überhaupt die grundlegende Frage bei der
Betrachtung eines Tatorts, den Eindruck des Absenten richtig zu bewerten. Denn
dieser Eindruck bestand schlieÃlich per se. Ãberall fehlten Dinge. Aber was
hatte es jeweils zu bedeuten? Ein Messer zuwenig im Messerblock muÃte nicht
zwangsläufig auf eine Tatwaffe verweisen, sondern konnte auch heiÃen, daÃ
dieses Messer schon viel früher verschwunden war oder daà es gar nie existiert
hatte.
Stirling löste sich von der Lücke. Die Experten würden ihm ganz klar
sagen können, ob hier etwas gehangen hatte oder nicht. Doch was nützte das
schon? Er würde kaum erfahren, was genau es gewesen war. Oder wer es entfernt
hatte. â Stirling gehörte zu jenen Ermittlern, die wenig von der Technik
hielten. Klar, hin und wieder kam es vor, daà ein
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