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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Stückchen Stoff, ein
Tröpfchen Blut, ein Partikelchen Haut den richtigen Hinweis auf den Täter
gaben. Aber in Wahrheit diente die Spurensicherung in erster Linie der
Arbeitsplatzbeschaffung. Die Beschattung von Verdächtigen brachte da wesentlich
mehr ein. Denn interessanterweise konnten sich – trotz allgemeiner Diskussion
über den Überwachungsstaat – die wenigsten Menschen ernsthaft vorstellen, eine
derartige Aufmerksamkeit zu verdienen. So kriminell sie sein mochten. Auch
viele Kriminelle litten unter dem Gefühl der Minderwertigkeit, der
Nichtbeachtung. Sosehr sie davon träumten, die Welt in Atem zu halten oder
wenigstens von einer ganzen Stadt gesucht zu werden, fühlten sie sich nicht
selten verlassen. Ja, von der Polizei verlassen.
    Aber manch einer wird eben doch beschattet.
    Und genau das war es, was im Moment geschah. Stavros Stirling ließ
Lorenz Mohn beschatten. Nicht, weil er Lorenz für den Täter hielt. Stirling war
trotz seiner relativen Jugend erfahren genug, um ein sehendes Huhn von einem
blinden zu unterscheiden. Denn obgleich Lorenz Mohn nicht als vollkommen
harmlos gelten konnte, schien er kaum über das Potential zu verfügen, einem
Menschen die Gurgel durchzuschneiden. Für Stirling hatte es genügt, zu
beobachten, wie Mohn eine Tasse Kaffee in die Höhe hob: zögerlich, halbherzig,
den Henkel wie einen zu großen Ring über den Finger schiebend, sodann die Lippe
in Erwartung eines Mangels oder Makels an den Tassenrand schiebend, in
Erwartung von übergroßer Hitze, von zuviel Süße, zuviel oder zuwenig Milch und
so weiter. Jemand aber, der in der Lage war zu töten, der in der Lage war, eine
Klinge durch lebendes Fleisch zu ziehen, dem sah man genau diese Fähigkeit
selbst dann an, wenn er eine Tasse Kaffee in die Hand nahm. Ein solcher Mensch
tötet den Kaffee, bevor er ihn trinkt. Und nicht nur das. Er tötet quasi ein
jedes Wort, bevor er es ausspricht. Deshalb muß er kein Mörder sein. Aber er
besitzt das Potential. Und Lorenz Mohn besaß es nun mal nicht. – Gut, das
konnte man freilich nicht als Argument in einer Ermittlung anführen, versteht
sich, doch für Stirlings persönliche Einschätzung war es dennoch bedeutsam.
    Wenn sich Stirling also in Mohns Nähe aufhielt, dann nicht, um einen
Täter im Auge zu behalten, sondern einen Zeugen. Einen Zeugen, den ein Faden –
ein ähnlicher wie der zwischen dem richtigen Mann und der richtigen Frau – mit
dem Täter verband. Ja, auch Stirling glaubte an Fäden. Man mußte nur ein wenig
Geduld aufbringen, bis man sie sah. Bis das Licht stimmte.
    Stirling begab sich zurück auf die Straße und griff nach seinem
Handy. Zuerst rief er die Kollegen an, die er im Haus gegenüber postiert hatte
und welche Lorenz Mohn praktisch in die Suppe sahen. Kalte
Schnittlauchrahmsuppe. Sera Bilten war eine ausgezeichnete Köchin. Die zwei
Beamten, die mit Feldstecher und Kamera hinüberlugten und ein Richtmikro
installiert hatten, kauten indessen an ihren Leberkässemmeln. Was in dieser
Stadt für die Semmeln galt, galt auch für den Leberkäse: Zweiter Weltkrieg.
    Â»Wie ist der Stand?« fragte Stirling.
    Â»Unser Liebespaar ißt und redet«, berichtete der Polizist.
    Â»Was essen sie?« fragte Stirling.
    Â»Irgendwas Weißes.«
    Â»Und was reden sie?«
    Â»Sie reden über Sie, Stirling.«
    Â»Ãœber mich?«
    Â»Ja, wie klasse Sie aussehen. – Manche Leute haben scheinbar nichts
Besseres zu tun, als sich über gutgebaute Jünglinge zu unterhalten«, sagte der
Polizist, der ganz sicher kein gutgebauter Jüngling war und zudem stinkesauer,
seine Befehle von einem blauäugigen Griechen zu empfangen.
    Selbiger Grieche ignorierte die Bemerkung, wies die beiden Kollegen
an, am Ball zu bleiben, und legte auf. Sodann wählte er eine sehr viel längere
Nummer.
    Â»Hallo, mein Liebling«, säuselte Stirling, als sich die Stimme
seiner Frau meldete.
    Â»Ach du«, sagte Inula mit abfälligem Ton. Sie war alles andere als
begeistert ob seines Auslandsaufenthalts, der sich über ein halbes Jahr
erstrecken sollte. Auch wenn Stavros immer wieder mal nach Athen flog, wo er
und Inula am Stadtrand lebten, zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn.
    Â»Wie geht es Leon?« fragte Stavros.
    Â»Er ist bei Sarah.«
    Sarah Steinbeck lebte bei den Stirlings, seit ihre Mutter Lilli,
eine

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