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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Stavros, »daß ich jetzt gerne bei dir wäre.«
    Â»Aha. Darum gehst du also nach Österreich – um dich dann besser nach
mir sehnen zu können.«
    Â»Mußt du immer so hart sein?« fragte Stavros.
    Â»Logisch ist nicht hart. Auch wenn es denen, die immer unlogisch
sind, so vorkommen mag.«
    Â»Na gut, dann schick ich dir ganz einfach einen Kuß.«
    Â»Danke. Ich dir auch.«
    Ja, mehr war heute nicht drin. Stavros legte auf. Er tat ein paar
Schritte zur Straßenmitte hin und sah hinauf zum zweiten Stockwerk, dort, wo
ein orangefarbenes Licht zwei Fenster erfüllte, wobei schwer zu beurteilen war,
ob sich in den Scheiben der Abendhimmel spiegelte oder vielmehr ein von
Lampenschirmen und buntem Glas gefärbtes Raumlicht nach außen drang. Jedenfalls
saß hinter diesen Fenstern ein Paar, dem es weit besser ging als ihm selbst und
seiner Inula. Trotz Drohbrief und dem Umstand einer Leiche.
    Stavros hätte seine zwei Kollegen anrufen mögen, um nachzufragen,
welche Speise gerade an der Reihe war. Aber was hätten die beiden Idioten schon
sagen können? Was Rotes mit Nudeln .
    In der Tat hatte Sera gerade Pasta serviert. Allerdings nicht in
Rot, sondern in jenem gelben und beigefarbenen Ton, der sich dank einer
Eierschwammerlsauce ergab. Es dauerte jedoch bis zum Dessert – ein Ding, für
das es scheinbar keinen Namen gab und das aus einer aus verschiedenen Nüssen,
Cognac, Honig, Weichseln sowie Kakao und Marzipan zusammengesetzten Masse
bestand –, bis Lorenz sich dazu durchringen konnte, von dem Vogel zu erzählen.
Dem Vogel auf der Karte, die er eingesteckt hatte.
    Â»Warum das denn?« fragte Sera.
    Â»Keine Ahnung. Es war ein Impuls.«
    Â»Bist du ornithologisch veranlagt? Oder kleptomanisch?«
    Â»Ich wußte ja zuerst gar nicht, was das überhaupt für ein Viech
ist«, verteidigte sich Lorenz, zog das Bild aus der Tasche, legte es vor Sera
hin und erklärte, man habe es hier mit einem Archaeopteryx zu tun.
    Sera drehte die Karte um und las: »Keine Angst vor alten Tieren!– Aha, und was soll das heißen?«
    Â»Weiß nicht. Aber schon ziemlich komisch.«
    Â»Möglicherweise ein typischer Paläontologenspruch.«
    Â»Könnte sein«, sagte Lorenz. »Jedenfalls hätte ich die Karte nicht
einstecken dürfen. Wenn die Polizei das mitkriegt, werden sie sich wieder weiß
Gott was denken.«
    Â»Sie brauchen es ja nicht zu erfahren«, meinte Sera. »Die Karte hat
wahrscheinlich ohnehin nichts zu bedeuten.«
    Doch entgegen dieser Vermutung schlug Sera nach am Essen vor, nach
hinten zu gehen und sich schlau zu machen. Mit »nach hinten« war jenes
vermeintliche Schlafzimmer gemeint, bei dem es sich in Wirklichkeit um das
Nähzimmer handelte. Dort stand auch Seras Computer.
    Man nahm sich also eine weitere Flasche Wein sowie zwei Gläser und
wechselte ans andere Ende der Wohnung. Es war ein ungemein frischer Geruch, der
den kleinen Raum erfüllte, einen Raum, der so ganz anders war als sein
Gegenstück zu ebener Erde. Während dort unten alles einen toten Eindruck
machte, mutete hier alles lebendig an. Erst recht der Bildschirm, der jetzt wie
ein kleines Fenster aufging, ein Fenster, hinter dem die große Welt sich
öffnete. Ewig lange, grüne Wiesen, auf denen die Wahrheit mit derselben
Heftigkeit sprießte wie die Lüge und keine grasende Kuh das eine vom anderen
hätte unterscheiden können.
    Freilich besteht das Prinzip einer Existenz als Kuh darin, daß man
nicht weiß, eine solche zu sein. Beziehungsweise sind die Kühe immer die
anderen.
    Sera öffnete die Wikipedia-Seite zum Thema Archaeopteryx. Eine
Lebendrekonstruktion zeigte ein Wesen mit einem entenartigen Schädel, einem
kompakten Körper, angelegten Flügeln und einem ausgesprochen langen,
gefiederten Schwanz. Im Unterschied zu dem Skelett auf der Ansichtskarte
bestand hier kein Zweifel, es mit einem Vogel zu tun zu haben, auch wenn – wie
die Seite informierte – zugleich »urtümliche«, also reptilienhafte Merkmale
bestanden, etwa die Existenz von Zähnen und Bauchrippen oder das Fehlen eines
knöchernen Brustbeins. Zudem schien die Sonderstellung dieses in den
Solnhofener Plattenkalken entdeckten und 150 Millionen Jahren alten Urvogels
neuerdings von vogelähnlichen theropoden Sauriern gefährdet, die gleichfalls
mit einem Federkleid ausgestattet gewesen waren. –

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