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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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oder auch nur Vernünftigen zählen. Es ist ein Trieb, wie gesagt wird,
ein Abenteuertrieb, der sogar die Mutlosen dazu verführt, den Frieden und die
Ruhe zu opfern und einer Sache zu folgen, deren Sinn und Zweck vage bleiben.
    Â»Ich überlege gerade«, sagte Lorenz, »ein paar Tage Urlaub zu nehmen
und mir dieses Solnhofen anzusehen. Beziehungsweise das Original von dem
Vogel.«
    Â»Und wozu?«
    Statt eine Antwort zu geben, sagte Lorenz: »Komm doch mit. Dann müssen
deine Heiratskandidaten mal ohne dich zusammenfinden.«
    Â»Und die Polizei?«
    Â»Ich werde denen sagen, ich bräuchte ein wenig Erholung nach dem
Schock. Solnhofen klingt ja einigermaßen unverdächtig.«
    Â»Wie kommst du auf die Idee, es könnte unverdächtig sein, wenn du
dich an einen Ort begibst, der eine zentrale Rolle in der Paläontologie
spielt?«
    Lorenz verzog sein Gesicht zu einem kleinen Unfall und sagte:
»Stimmt. Ich muß mir das noch einmal überlegen. Trotzdem fände ich es fein,
wenn wir zusammen wegfahren könnten. Das tut man doch so, wenn man sich
verliebt hat, nicht wahr?«
    Â»Ja, merkwürdig«, fand Sera, »daß die Frischverliebten so gerne
verreisen. Man könnte meinen, sie würden vor irgendwelchen Konsequenzen
flüchten. Die Konsequenzen wenigstens aufschieben.«
    Â»Ich will gar nichts aufschieben«, betonte Lorenz Mohn und nahm Sera
in die Arme. Seine Hände lagen auf ihren Schulterblättern, als halte er einem
Kind von hinten die Augen zu. Dann küßte er Sera auf eine betont kontrollierte
Art. Bißchen komisch. Na, vielleicht wollte er auf diese Weise kundtun, kein
dummer kleiner Bub zu sein, der nicht wußte, was er tat, und sich ständig von
Leidenschaften übermannen ließ.
    Egal, wenig später lagen sie im Bett.
    Â»Die liegen jetzt im Bett«, gab einer der Polizisten an Stavros
durch, denn auch das Schlafzimmer führte auf die Rosmalenstraße hinaus. Was
hingegen im rückwärtig gelegenen Nähzimmer geschehen war, konnten die
Observateure nicht sagen. Die Stärke ihrer Abhöranlage reichte nicht aus, um
bis dorthin vorzudringen. Und auf Wanzen in Seras Wohnung hatte man verzichtet.
So wichtig war ein toter Bäcker nun auch wieder nicht, um das volle Programm zu
rechtfertigen. Da mußte schon mehr her: Drogen, Terror, Politik, vor allem aber
Interna. Die normalen Bürger hätten gelacht, hätten sie gewußt, daß die
Behörden in erster Linie sich selbst abhörten, ein Verein den anderen. Es
gehörte richtiggehend zum Alltag, daß jemand aus der Justiz oder Polizei, der
jemanden abhören ließ, solcherart vom eigenen Abgehörtwerden erfuhr. Ein großes
Theater war im Gange, ein Abhörtheater, ein walzerartig sich wirbelndes Geben
und Nehmen, eine Art von Der Kongreß tanzt .
    Da nun aber bereits im Eßzimmer die Rede vom Archaeopteryx gewesen
war, konnten die beiden Beobachter ihren Vorgesetzten Stirling darüber in
Kenntnis setzen, daß Lorenz Mohn offensichtlich einen Gegenstand vom Tatort
hatte mitgehen lassen, eine Karte mit einem Vogel drauf.
    Â»So ein alter Vogel«, sprach der eine Polizist in sein Handy,
»genauer gesagt, der Rest von einem alten Vogel. Ein Archae-Irgendwas. Ist das
nicht ungemein interessant?«
    Klang irgendwie zynisch. Kein Wunder, denn der wenig gutgebaute
Beamte fand es überflüssig, hier herumzusitzen und diesen zwei Leuten ins Essen
und ins Bett zu schauen, während im Fernsehen ein wichtiges Fußballspiel lief.
    (Selbstredend war das ein Klischee, daß ein Mensch, der den Namen
Archaeopteryx nicht aussprechen konnte, gerne Fußball sah. Aber das Klischee
lebte und atmete.)
    Stavros allerdings ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und meinte:
»Ja, das ist in der Tat aufschlußreich. Ich danke Ihnen. Sie können bald gehen.
Fünf Minuten noch, dann komme ich rauf und übernehme.«
    Der schöne Grieche, dessen schwarzes Haar einen Schuß dunkles Grün
besaß, Zauberwaldgrün, betrachtete die Pinnwand. Das war es also gewesen. Das
Foto eines Urvogels. Und wenngleich es schien, daß Lorenz Mohn die Karte ohne
guten Grund genommen hatte – eine Art Souvenir des eigenen Erschrockenseins –,
so spürte auch Stavros, daß dem Vogel eine gewisse Bedeutung zukam.
    Er beugte sich über den Arbeitstisch. Die Spurensicherung hatte die
Dinge so gelassen, wie sie gewesen waren, mit

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