Gewitter über Pluto: Roman
dem ganzen Werkzeug und dem zu
Dreiviertel freigelegten Fossil. Was eigentlich nicht hätte sein dürfen. Aber
was hätte nicht alles nicht sein dürfen? Auf dem Fossil war kein Blut gewesen,
ebensowenig auf der Gerätschaft, auch sonst keine Spuren. Man konnte nicht
alles eintüten und ins Labor bringen. Ein geradezu notwendiges Prinzip der
Spurensicherung lautete: nichts übertreiben.
Darum konnte Stavros Stirling nun den Arbeitsplatz des Herrn Nix
genau in dem Zustand betrachten, in dem dieser ihn zurückgelassen hatte. Er
studierte den Gesteinsbrocken durch die groÃe Lupe, folgte der feinen Struktur
der Versteinerung, den wellenartig geordneten, wie mit einem Rechen in feuchten
Sand gesetzten Windungen. Auch Stavros schätzte, daà es sich um Ausscheidungen
oder ein pflanzliches Gefüge handeln müsse. Die GleichmäÃigkeit allerdings
irritierte ihn, erinnerte an einen mittels Bewegung und Kraft erfolgten ProzeÃ,
wie bei Wasser oder Wind undâ¦wie bei einem Artefakt. Was jedoch kaum in
Frage kam. Nicht bei einem Mann wie Nix, der zwar Bäcker, aber kein Bildhauer
gewesen war.
Stavros nahm den flachen Stein und drehte ihn um. Die Rückseite war
ausgesprochen glatt und etwas dunkler. Rechts unten war mit einem
Kugelschreiber eine Markierung vorgenommen worden, eine Zahlenreihe: 134340.
Sah aus eine wie eine Telefonnummer. Aber wahrscheinlich handelte es
sich simplerweise um die Kennzeichnung des Steins.
Wenn eine Stunde zuvor Lorenz Mohn gegenüber Sera von
einem Impuls gesprochen hatte, der ihn dazu verleitet hatte, die
Archaeopteryxkarte von der Pinnwand zu holen, so war es wohl einer ähnlichen
»Schwerkraft« zu verdanken, daà jetzt Stavros Stirling den Stein an sich nahm
und somit den Fundort des Leichnams erneut schmälerte. Würde diese Geschichte
nur lange genug dauern, dann würdeâ¦siehe Akropolis. Andererseits war ein
solches Handeln, das Mitgehenlassen, zutiefst menschlich. Es war Teil tief
verwurzelten Jagens und Sammelns, selbst noch, wenn es im Supermarkt geschah.
Das würden die Supermarktbetreiber natürlich nie verstehen oder akzeptieren,
aber es war so. Mit Diebstahl hatte das nichts zu tun. Die Natur konnte man
nicht bestehlen. Und vom Standpunkt des Jägers und Sammlers war
selbstverständlich alles Natur.
Stavros Stirling steckte sich den Gesteinsbrocken in die Tasche
seines Sakkos und dachte: »Es wird schon für etwas gut sein.«
Sicherlich würde es das.
Als er wenig später das Kabinett betrat, von dem aus die
Wohnung Sera Biltens beobachtet wurde, erhoben sich die beiden Polizisten
augenblicklich. Nicht aus Respekt, sondern um den Raum so rasch als möglich zu
verlassen.
»Haben Sie ein Problem damit, daà ich Grieche bin?« fragte Stavros.
»Wollen Sie eine ehrliche Antwort?« erkundigte sich jener wenig
gutgebaute Endfünfziger.
»Wenn Sie mich so fragen, eigentlich nicht.«
Stavros lieà die beiden Männer ziehen und begab sich hinüber zu dem
Fernrohr, das auf einem Stativ montiert war. Er hörte, wie einer der beiden die
Türe zuschlug. Er war vor den Ãsterreichern gewarnt worden. Aber das hatte ihn
wenig beeindruckt. Und es beeindruckte ihn noch immer nicht. Klar, er wuÃte,
daà sich die Ãsterreicher besonders viel auf ihren Fremdenhaà einbildeten, daÃ
sie meinten, selbiger sei gleichzeitig radikaler und kultivierter als anderswo.
Doch nach Stirlings Anschauung war das Unfug, simple Mythenbildung â für Ãsterreicher von Ãsterreichern. AuÃerdem gab es auch nette Leute hier. Etwa seinen Vorgesetzten
Spann. Dessen Schweigsamkeit besaà eine hohe Qualität. Wobei es keineswegs so
war, daà Spann nie redete. Mit ihm, Stirling, redete er. Dann, wenn es nötig
war.
Stirling blickte durch das Okular. Die Vorhänge zum Schlafzimmer
waren nur halb zugezogen und bildeten solcherart ein reduziertes Format, so wie
das früher im Kino gewesen war, wenn man einen Schmalfilm gezeigt hatte. Lorenz
und Sera waren gut zu sehen und auch gut zu hören. Stirling muÃte schmunzeln
angesichts des Umstands, hier einen Mann, der jüngst noch in Pornos gespielt
hatte, bei einem realen Liebesakt zu beobachten. Als würde man einem
Profigolfspieler bei einer privaten Minigolfpartie zusehen. â Nein, das war ein
blödsinniger Vergleich. Aber es blieb dabei, daà sich Stirling schwer
vorstellen konnte, daà Leute, die Sex als
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