Gewitter über Pluto: Roman
Da steht also nie ein mickriger,
schwächlicher König einer aufrecht selbstherrlichen Majestät gegenüber. Wenn
mickrig, dann beide. Und diese Gleichheit vor der Eröffnung zieht sich trotz
aller Unterschiede, die sich in der Folge aus dem Spiel ergeben, bis zum Ende
hin. Darum auch ist das Ende immer ehrenvoll. Keine Demütigung, lediglich die
Feststellung einer Aussichtslosigkeit. Den feindlichen König freundlich auf
etwas hinzuweisen, was dieser König ohnehin bereits weiÃ. Welcher in der Folge
bloà einen kurzen Moment aristokratischer Verwirrtheit kultiviert: Ach, und Sie meinen, ich kann wirklich nichtâ¦
Ich winkte dem Barkeeper, der sich leicht nach vorn beugte und mir
durch eine motorisch anmutende Drehung des Kopfes sein rechtes Ohr zuwendete.
»Wer ist der Mann dort?«
»Der Besitzer des Etablissements. Herr Mick.«
»Und gegen wen spielt er da?«
»Tut mir leid, der Herr, das weià ich nicht.«
Es war übrigens nicht so, daà dieser Mick während der ganzen Zeit
einen einzigen Zug getan hatte. Er saà nur da und starrte auf das Brett,
rauchte, trank hin und wieder einen Schluck Mineralwasser und fuhr sich hin und
wieder über den dünnen Schnurrbart, dessen Schwärze zusammen mit den dunklen Augenbrauen
die Blondheit des Haupthaars in den Verdacht brachte, eine Fälschung zu sein.
Vorausgesetzt, es war nicht umgekehrt.
Ich glitt von meinem Hocker und bewegte mich auf ihn zu.
»Entschuldigen Sie, daà ich Sie störe. Darf ich mich dazusetzen?«
Mick wies mit einer beiläufigen Geste auf den leeren Stuhl seines
absenten Kontrahenten.
Ich dankte, nahm Platz und legte die Tasche mit dem Fossil neben
mich auf eine dunkle Lederbank. Dann blickte ich auf das Brett und machte mir
ein Bild von der Situation. Mick spielte WeiÃ, zumindest saà er auf der weiÃen
Seite. Das Spiel befand sich in einer entscheidenden Phase, an dem Punkt, wo
etwas geschehen würde, weil es sich eben nicht mehr aufschieben lieÃ. Auch im
Schach muà sich irgendwann das Unglück durchsetzen. Man kann nicht ewig
herumlavieren, ewig darauf achten, daà nichts passiert. Man kann sich nicht
ewig darauf beschränken, ein
Rühr-mich-nicht-an-ich-rühr-dich-auch-nicht-an-Spiel zu spielen. Oder zu
meinen, kleine Geschenke erhielten die Freundschaft. Irgendwann ist die
Eröffnung zu Ende.
»Wer ist am Zug?« fragte ich.
»Sie«, sagte Mick. Seine Stimme war ein kleines Unterseeboot. Ãber
Wasser kaum zu hören, aber unter Wasser⦠GewissermaÃen begab ich mich also in die
Tiefe eines Gewässers, indem ich mich auf ein Gespräch mit Mick einlieà und ihn
darauf aufmerksam machte, nicht sein Gegner zu sein.
»Warum sitzen Sie dann hier?«
Ich ignorierte die Frage und erkundigte mich nach der Person, welche
Schwarz spielte.
»Der scheint heute nicht zu kommen«, sagte Mick. Nun, das war jetzt
eher die Stimme eines groÃen Unterseebootes. So wie
diese russischen, von denen man nicht weiÃ, ob sie so gefährlich sind wegen
ihrer starken Bewaffnung oder ihres desolaten Zustands.
Eine Weile schwiegen wir. Dann meinte Mick, es wäre doch vollkommen
in Ordnung, wenn ich Schwarz übernehmen würde. Immerhin befinde man sich in
einer ausgeglichenen Situation.
»Aber ich weià doch gar nicht, was für eine Strategieâ¦Â«
»Spielen Sie, oder spielen Sie nicht?« fragte Mick und sah zum
ersten Mal auf. Er besaà stechend türkisene Augen, Bergseeaugen. Nie und nimmer
konnten die echt seien. Also, ich meine, er trug gefärbte Kontaktlinsen. Der
ganze Mann war gefärbt. Er hatte auch Make-up im Gesicht. Nicht so wie bei
Tunten. Immerhin war er hier der harte Mann, der Chef, der BoÃ, der die Mädchen
im Visier hatte, wahrscheinlich sogar die beiden Typen an der Bar. â Und er
hatte selbstverständlich recht. Entweder ich stand augenblicklich auf und ging
zurück an die Bar, oder ich übernahm es, eine fremde Partie zu meiner eigenen
zu machen.
»Gut«, sagte ich. »Lassen Sie mir ein wenig Zeit. Ich muà erst
vertraut werden.«
»Nehmen Sie sich Zeit, soviel Sie wollen«, zeigte sich Mick
groÃzügig. Dann stand er auf, wechselte zu den drei Grazien und gab eine
Anweisung. Die Frauen erhoben sich und kamen herüber, um sich an unseren Tisch
zu setzen. Ich muÃte die Tüte mit dem Archaeopteryx ein wenig zur Seite
schieben, damit ein rothaariges
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