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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Da steht also nie ein mickriger,
schwächlicher König einer aufrecht selbstherrlichen Majestät gegenüber. Wenn
mickrig, dann beide. Und diese Gleichheit vor der Eröffnung zieht sich trotz
aller Unterschiede, die sich in der Folge aus dem Spiel ergeben, bis zum Ende
hin. Darum auch ist das Ende immer ehrenvoll. Keine Demütigung, lediglich die
Feststellung einer Aussichtslosigkeit. Den feindlichen König freundlich auf
etwas hinzuweisen, was dieser König ohnehin bereits weiß. Welcher in der Folge
bloß einen kurzen Moment aristokratischer Verwirrtheit kultiviert: Ach, und Sie meinen, ich kann wirklich nicht…
    Ich winkte dem Barkeeper, der sich leicht nach vorn beugte und mir
durch eine motorisch anmutende Drehung des Kopfes sein rechtes Ohr zuwendete.
    Â»Wer ist der Mann dort?«
    Â»Der Besitzer des Etablissements. Herr Mick.«
    Â»Und gegen wen spielt er da?«
    Â»Tut mir leid, der Herr, das weiß ich nicht.«
    Es war übrigens nicht so, daß dieser Mick während der ganzen Zeit
einen einzigen Zug getan hatte. Er saß nur da und starrte auf das Brett,
rauchte, trank hin und wieder einen Schluck Mineralwasser und fuhr sich hin und
wieder über den dünnen Schnurrbart, dessen Schwärze zusammen mit den dunklen Augenbrauen
die Blondheit des Haupthaars in den Verdacht brachte, eine Fälschung zu sein.
Vorausgesetzt, es war nicht umgekehrt.
    Ich glitt von meinem Hocker und bewegte mich auf ihn zu.
    Â»Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe. Darf ich mich dazusetzen?«
    Mick wies mit einer beiläufigen Geste auf den leeren Stuhl seines
absenten Kontrahenten.
    Ich dankte, nahm Platz und legte die Tasche mit dem Fossil neben
mich auf eine dunkle Lederbank. Dann blickte ich auf das Brett und machte mir
ein Bild von der Situation. Mick spielte Weiß, zumindest saß er auf der weißen
Seite. Das Spiel befand sich in einer entscheidenden Phase, an dem Punkt, wo
etwas geschehen würde, weil es sich eben nicht mehr aufschieben ließ. Auch im
Schach muß sich irgendwann das Unglück durchsetzen. Man kann nicht ewig
herumlavieren, ewig darauf achten, daß nichts passiert. Man kann sich nicht
ewig darauf beschränken, ein
Rühr-mich-nicht-an-ich-rühr-dich-auch-nicht-an-Spiel zu spielen. Oder zu
meinen, kleine Geschenke erhielten die Freundschaft. Irgendwann ist die
Eröffnung zu Ende.
    Â»Wer ist am Zug?« fragte ich.
    Â»Sie«, sagte Mick. Seine Stimme war ein kleines Unterseeboot. Über
Wasser kaum zu hören, aber unter Wasser… Gewissermaßen begab ich mich also in die
Tiefe eines Gewässers, indem ich mich auf ein Gespräch mit Mick einließ und ihn
darauf aufmerksam machte, nicht sein Gegner zu sein.
    Â»Warum sitzen Sie dann hier?«
    Ich ignorierte die Frage und erkundigte mich nach der Person, welche
Schwarz spielte.
    Â»Der scheint heute nicht zu kommen«, sagte Mick. Nun, das war jetzt
eher die Stimme eines großen Unterseebootes. So wie
diese russischen, von denen man nicht weiß, ob sie so gefährlich sind wegen
ihrer starken Bewaffnung oder ihres desolaten Zustands.
    Eine Weile schwiegen wir. Dann meinte Mick, es wäre doch vollkommen
in Ordnung, wenn ich Schwarz übernehmen würde. Immerhin befinde man sich in
einer ausgeglichenen Situation.
    Â»Aber ich weiß doch gar nicht, was für eine Strategie…«
    Â»Spielen Sie, oder spielen Sie nicht?« fragte Mick und sah zum
ersten Mal auf. Er besaß stechend türkisene Augen, Bergseeaugen. Nie und nimmer
konnten die echt seien. Also, ich meine, er trug gefärbte Kontaktlinsen. Der
ganze Mann war gefärbt. Er hatte auch Make-up im Gesicht. Nicht so wie bei
Tunten. Immerhin war er hier der harte Mann, der Chef, der Boß, der die Mädchen
im Visier hatte, wahrscheinlich sogar die beiden Typen an der Bar. – Und er
hatte selbstverständlich recht. Entweder ich stand augenblicklich auf und ging
zurück an die Bar, oder ich übernahm es, eine fremde Partie zu meiner eigenen
zu machen.
    Â»Gut«, sagte ich. »Lassen Sie mir ein wenig Zeit. Ich muß erst
vertraut werden.«
    Â»Nehmen Sie sich Zeit, soviel Sie wollen«, zeigte sich Mick
großzügig. Dann stand er auf, wechselte zu den drei Grazien und gab eine
Anweisung. Die Frauen erhoben sich und kamen herüber, um sich an unseren Tisch
zu setzen. Ich mußte die Tüte mit dem Archaeopteryx ein wenig zur Seite
schieben, damit ein rothaariges

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